Samstag, 29. September 2012

Nocte Obducta - Und Pan spielt die Flöte

Schönen guten Morgen, unendliche virtuelle Weiten! 

Lange hab ich mit mir gezaudert, aber es muss sein. Dieser Blog hat seinen 5000 (fünftausendsten) Aufruf und zu diesem Anlass, von dem ich vor einem Jahr noch nicht einmal zu träumen gewagt hätte, wage ich mich nun an eine wahre Naturgewalt von Lied. Momentan ist es eines meiner absoluten Lieblingslieder und ich könnte mir kaum eine großartigere Nummer für diesen Jubiläumsblogeintrag vorstellen. Mit großer Hochachtung vor Umfang und metaphorischem Gewirr, welches diese Nummer in sich birgt, lasse ich Pans Flöte spielen. Herzlichen Dank für 5000 Seitenaufrufe! (Und an dieser Stelle auch noch einmal Werbung für mein neu geschaffenes Projekt:
Beyond German Lyrics - schaut doch mal vorbei. Wie auch in diesem Blog sind dort Wünsche, Anregungen etc. in den Comments mehr als willkommen!)

Video:




Lyrics:

Ein Elixier aus kalten Urnen lebhaft floss in unserem Blut  
Das Kriechervolk im Schlamm sprach falsch und schürte unsre Wut
Wie Märchen kamen Schriften auf uns und vergess'ne Lieder
Besuchten uns in unseren Träumen, kehrten stetig wieder
Und trotz der Flüche und des Zorns war Platz für frohe Worte
Wir lachten, denn wir glaubten noch an andre, bess're Orte
Ein mildes Lächeln ob der eklen Kriecher tumben Possen
Doch bald lag alles weit zurück und schien mir wie zerflossen

Niemals wird vergessen, die Gebeine dieser Tage  
Gleich Lethes Flut verschlingen, sind die Zeiten auch verronnen
Denn nichts ward je begraben, und was bleibt, sind Kenotaphe  
Und ein Blick zurück, den Pfad entlang, der irgendwo begonnen

Auch heute sucht mein Blick nicht lange vor Frühlingserwachen
Auf der anderen Flussseite die großen, kahlen Bäume
Und wenn hinter mir wie Messing blutend sich die Sonne senkt
Dann leuchtet warm das kalte Holz und schickt mir neue Träume
Und dieser Fluss, der viel gesehen, viel mit sich genommen
Was wäre, wenn er ruhte wie ein See, nicht fließend, sondern still
Und alles, was man ihm geschenkt, behielte er und verwahrte
Wäre dann mein Spiegelbild in ihm ein andres Bild...?

Was bleibt, sind viele Worte, deren viele nicht geschrieben
Was bleibt, sind schöne Bilder, die fast alle nicht gemalt
Und Träume, die verwahren, was noch wartet auf Erfüllung
Und die Hoffnung, dass noch irgendwann der alte Glanz erstrahlt
Was bleibt, sind diese Zeilen, die mehr fühlen als sie sagen
Was bleibt, sind diese Lieder, die aus tausen Träumen klingen
Und vieles wird verloren sein, und keiner wird es finden
Doch irgendwer wird irgendwann noch diese Lieder singen
Als eines Nachts der Frühling kam, da brachte er die Freude  
Schuf Sinnbilder der Lebenslust und nie gekannte Freiheit
Und schrieb in meinen Träumen dennoch Sagen voller Trauer
Und Mythen voller Weltenschmerz toter Vergangenheit

Der Finsternis, die wir erdachten, erwuchsen neue Pfade
Die kannten einen Weg ans Licht, obschon sie voller Schwärze
Der Taumel der Gefühle war der Hirte dieser Wege
Denn das Ziel all jener Reisen war ein Spiegelbild der Herzen
Verzweiflung und Verzückung waren untrennbar verworren
Der Widerspruch in allem schien sich selber zu verspotten
Die Gier, die Pein zu spüren, schrie in meinen heißen Schläfen
Und um unsere Fluchtburg schien ein Weltbild zu verrotten
In kalten Katakomben wuchsen gräuliche Visionen  
Und unter einem jungen Himmel starb ein alter Frieden
Und dennoch schien ein Zerrbild seiner selbst in sich zu verhöhnen
Und stürzte sich auf all die Missgeburten, die uns mieden  
So waren also Hass und Liebe unzertrennbar verbunden
So war der Weg zu neuen Ufern nicht zu überschau'n  
So war doch dieser Weg der einz'ge Pfad, den wir verstanden
So spürten wir nicht ohne Qual des Lieben eis'ge Klauen
Und unvermittelt sah ich in den Spiegeln nur noch Schöpfer
Und Welten, die zuletzt ich in der Kinderstube sah
Der Zwiespalt zwischen Traum und Überleben schuf ein Chaos  
Das unter Schmerzen und doch lächelnd eine neue Welt gebar
Und so entstanden Worte, die auf taube Ohren stießen
Wie Artefarkte eines Traums in einer toten Welt  
Gesten, die dem blinden Mob wie zum Verzehr geboten  
Was, wenn der letzte Barde unrettbar im Disseits fällt...?

Desîhras Tagebuch schreibt in meinem Herzblut  
Von Wahnsinn und von Weisheit
In reich verzerrten Lettern
Desîhras Tagebuch
Weiß um einen alten Fluch
Liest zwischen allen Zeilen
In leicht vergilbten Blättern

Sieh nur die Puppen, sie tanzen in dämmrigem, kränkelndem Licht  
Sieh nur die Augen, den Schmerz und die Angst
Den Schrecken im lächelnden Puppengesicht  
Sieh nur ihre lieblichen Kleidchen
Das Zucken auf zitternden Füßen
Der Missklang der Töne, die Kakophonie
Ein erschreckendes Bild, sich die Zeit zu versüßen  

Süß sind die Früchte, doch faulten die Wurzeln
Schon als voller Omen der Frühling begann
In den Ästen die Vögel mit eiskalten Augen
Sie singen von nichts als dem Weltuntergang

So bringt uns die goldenen Äpfel, denn die, an die der Norden glaubt
Sind fabelhafte Gärtner,... obschon uns vor dem "Ewig" graut  
Doch nichts ist mehr so, wie es einstmals war
Und so ist auch das "Ewig" gestorben  
Die Früchte, die brachten, wonach alle trachten
Sind schön, doch schon lange verdorben
Weit fort von den Zinnen verblendeten Lärms
Dort draußen, weit hinter den Toren
Liegt fast unerreichbar das Land, das wir suchten
Das "Morgen" ist noch nicht verloren  

...und Pan spielt die Flöte


Inhalt, Rhetorisches & Allerlei:
Das Trennen der Strophen birgt schon die ersten Schwierigkeiten. Einerseits gibt es klar getrennte Strophen mit längeren Pausen, in denen lediglich die Instrumente zu hören sind, andererseits gibt es Strophen, wo der Textfluss nicht unterbrochen ist, sondern sich lediglich die Melodie ändert. Meines Erachtens könnte man die beiden ersten Strophen, so wie ich sie jetzt getrennt habe, durchaus auch zusammenfassen. 
Spannend ist auch die dialoghafte Abmischung, welche sich durch das gesamte Lied zieht. Kommt die erste Zeile aus der linken Box, so kommt die zweite Zeile aus der rechten, das zieht sich durch das gesamte Lied und erzeugt einen ganz eigenen Rythmus auf textlicher Ebene.
Auffällig ist auch immer wieder ein auftretender Endreim, die erste Strophe ist etwa komplett in Paarreimen gehalten, in der zweiten Strophe folgt ein Kreuzreim, danach scheint der Endreim eher willkürlich aufzutreten.
Die erste Zeile deutet schon vorsichtig die Wiedersprüche an, die das gesamte Lied thematisieren: "Ein Elixier aus kalten Urnen lebhaft Floss in unserem Blut". Das "Kalte" der Urnen steht hier im Widerspruch zum lebhaft fließenden Blut. Das Blut ist in diesem Fall symbolisch für das Leben, in unseren Körpern ist das Blut nicht kalt und steht somit im Gegensatz zur kalten Urne, die eine Allegorie für den Tod ist. "Das Kriechervolk im Schlamm" betrachte ich als Metapher für nicht selbstständig denkende, mitlaufende Menschen, die alles glauben und nachsprechen was man ihnen vorgibt "sprach falsch und schürte unsre Wut". Denkt beim nächsten Griff zur Boulevardzeitung eures Vertrauens darüber nach! Auch wenn sie gratis in der Ubahnstation aufliegt und die Sudokus so toll sind.
"Wie Märchen kamen Schriften auf uns und vergess'ne Lieder" Das "Wie" leitet einen klassischen Vergleich ein, gleichzeitig ist es eine Metapher, im üblichen Sprachgebrauch "kommt Schrift nicht auf jemanden", Schrift ist etwas passives, zusätzlich ist es eigentlich auch ein Paradoxon, denn wenn vergessene Lieder zurück kommen, sind sie eigentlich nicht mehr vergessen. Und es folgt gleich die nächste Metapher, die sich noch auf die vorige Zeile bezieht, die "Schriften und Lieder" besuchten "uns", wobei ich das "uns" als Selbstverständnis der Band betrachte, in den Träumen. Eventuell könnte man darüber streiten ob "in Träumen besucht werden" schon eine tote Metapher ist, auf jeden Fall ist es aber ursprünglich eine Metapher. Man träumt Träume und wird nicht in ihnen besucht.
"Flüche und Zorn" sind artverwandte Worte (eine Akkumulation), ansonsten bietet die erste Strophe rhetorisch keine Besonderheiten mehr.

"Niemals wird vergessen, die Gebeine dieser Tage" klingt eigenwillig, da sich offenbar das Verb im Singular auf "Gebeine" im Plural bezieht. "Gleich Lethes Flut verschlingen, sind die Zeiten auch verronnen" ist wieder eine sehr starke Metapher. Lethe ist einer der  griechischen Flüsse der Unterwelt, wer daraus trinkt, vergisst alles. Lethe verschlingt also früher oder später die veronnene Zeit mit Vergessenheit. Entweder weil man selbst vergesslich wird oder weil man stirbt. Hierbei sei erwähnt, dass Lethe auch der Titel des ersten Albums der Band ist und so auch zur autobiographischen Interpretation einlädt.
Gleich die nächste Zeile bringt den Widerspruch: Während die erste Zeile mit Lethe Symbolik des Vergessens zeigt, behauptet die nächste Zeile das genaue Gegenteil.  "Denn nichts ward je begraben" ist eine Metapher für Unbeendetes, etwas das nicht Begraben ist, kann nicht ruhen, kann nicht vergessen und verstärkt wird dieser Gedanke weitergehend mit  "und was bleibt sind Kenotaphe". Kenotaphe sind Denkmäler, deren Zweck die Erinnerung ist.  
Ein schöner Gedanke, den mir eine Freundin zu diesem Thema gerade schrieb und wie man es auf jeden Fall interpretieren könnte: Oft stehen Kenotaphe, Denkmäler etc. herum, sollen an etwas oder jemanden erinnern, wobei eigentlich niemand mehr weiß, wer diese Gestalten denn nun eigentlich sind.
Die nächste Zeile relativiert dann auch das "Vergessen" und "Erinnern". Der "Blick zurück" steht für das Erinnern, "der Pfad der irgendwo begonnen" deutet ein Vergessen an. Irgendwo, wo genau ist nicht mehr klar ersichtlich, hat irgendetwas begonnen. Alles in allem eine sehr starke und bedeutungstragende Strophe.

"Auch heute sucht mein Blick nicht lange vor Frühlingserwachen. Auf der anderen Flussseite die großen, kahlen Bäume" Überraschung! Das Lied wartet mit Metaphern auf. Frühling steht meist für Jugend, Beginn. Sein Blick sucht nicht lange, sondern schwenkt gleich zum anderen Flussufer, der Fluss als Metapher für ein Hindernis, aber auch Bewegung, zu kahlen Bäumen. Also dem Gegenteil vom Frühling, wenn man in der Jahreszeitenmetapher bleibt, Winter, Ende, Tod. Prinzipiell könnten diese Zeilen für das Leben stehen, Frühlingserwachen als Geburt, der Fluss als das Leben, die kahlen Bäume am anderen Ufer für den Tod. Diese Interpretation verstärkt sich in den folgenden Zeilen. "Wenn sich die Sonne, wie Messing blutend senkt", hat einerseits das blutende Messing als Metapher. Glänzendes Messing kann für sich spiegelnde Sonnenstrahlen stehen. Andererseits ist natürlich die sinkende Sonne erneut eine Metapher dafür, dass es zu Ende geht. "Das kalte Holz leuchtet warm und schickt mir neue Träume". Erneut ein wirklich heftiger Brocken, wenn man es interpretieren will. Das Holz bietet einen Rückschluss auf die kahlen Bäume am Ufer. Wenn das kalte Holz warm leuchtet (was übrigens wieder ein Paradoxon ist), könnte es verbrannt werden - wofür das wiederum steht, ist relativ offensichtlich, wenn man davon ausgeht, dass der kahle Baum das Ende des Lebens symbolisiert. "Und schickt mir neue Träume" klingt in Zusammenhang mit der vorangegangen Todesmetaphorik schlicht nach dem guten alten barocken Vanitas Motiv. Er (der Sänger?) träumt von der Vergänglichkeit, der Nichtigkeit des Lebens.
Der Barock als Vorstufe und Inspirationsquelle des Black Metal?
Ein interessanter Gedanke.
"Und dieser Fluss, der viel gesehen, viel mit sich genommen" ist nach meinem Interpretationsansatz eine Bestätigung, dass der Fluss für das Leben selbst, Erfahrungen und Erlebnisse steht. "Was wäre, wenn er ruhte wie ein See, nicht fließend, sondern still. Und alles, was man ihm geschenkt, behielte er und verwahrte. Wäre dann mein Spiegelbild in ihm ein andres Bild...?" Würde das Leben still stehen, würde man nichts vergessen, würde man sich nicht durch neue Erfahrungen verändern, wäre man wohl ein anderer Mensch. Das Spiegelbild im Fluss oder See bestätigt mich in meiner Aussage, dass der Fluss für das eigene Leben steht.

In der nächsten Strophe fallen die Anaphern auf: Viele Zeilen fangen mit "was bleibt" oder "Und..." an. Es folgen viele, teils paradoxe Metaphern: "viele nicht geschriebene Worte, viele nicht gemalte Bilder, Träume die auf Erfüllung warten. Lieder die aus Träumen klingen, vieles wird verloren sein, doch irgendwer wird irgendwann diese Lieder singen."
Wenn man bei der Jahreszeiten-Lebenszyklus-Allegorie bleibt, so könnte folgende Zeile etwa für ein neugeborenes Kind stehen. "Als eines Nachts der Frühling kam, da brachte er die Freude. Schuf Sinnbilder der Lebenslust und nie gekannte Freiheit" Oder für neue Liebe, für irgendeinen positiven Einschnitt in das Leben, der jedoch in den nächsten zwei Zeilen wieder im Vanitas-Gedanken endet und so eine wirklich barocke Veritas-Vanitas Gedankenwelt aufbaut. Selbst wenn das Leben schön ist, so droht doch allem immer die Vergänglichkeit. "Und schrieb in meinen Träumen dennoch Sagen voller Trauer. Und Mythen voller Weltenschmerz toter Vergangenheit."

"Der Finsternis, die wir erdachten, erwuchsen neue Pfade" Das könnte verschiedene Bedeutungen haben. Zum einen, dass sie (wer auch immer "wir" ist - die Band oder das Lyrische Ich?) ihre finstere Gedankenwelt, von der sie selbst träumen, noch weiter ausbauen oder aber, dass sie aus dieser Finsternis Pfade hinaus gefunden haben. Betrachtet man das Lied als Ganzes und das Wechselspiel aus Veritas und Vanitas Gedanken, so erscheint mir wahrscheinlicher, dass sie Pfade aus der Finsternis suchen und finden. Dieses Gegenüber von Lebenslust und Vergänglichkeit wird in den folgenden Zeilen verstärkt. Neben dem Hinweis auf Anaphern am Zeilenanfang und irgendwo willkürlich auftauchendem Endreim, lasse ich die folgenden Zeilen einfach in ihrer ganzen Pracht stehen. Man beachte die widersprüchlichen Symbole für Freude, Leben, Schmerz und Tod, die auch mehrfach direkt thematisiert werden: "Der Widerspruch in allem schien sich selber zu verspotten". Es finden sich auch viele Metaphern für das Erinnerungsmotiv, die sich wie schon öfter in Widersprüchen einbetten: Das "Artefakt" (als bleibendes Symbol der Erinnerung an etwas), das jedoch nur in einem "Traum an eine tote Welt" erinnert. Der Traum ist ein sehr vergängliches Symbol. Eine ähnliche Funktion ist dem "sterbenden Barden", als Überlieferer von Erinnerungen, Mythen und Legenden, inne.
Auf rhetorischer Seite würde sich sicher noch viel mehr finden lassen, hervorheben möchte ich an dieser Stelle nur noch die Alliteration "kalte Katakomben" und die Antithese "Hass und Liebe". Schwierig und kontrovers ist der Begriff "Missgeburt", den ich persönlich nicht verwenden würde und mit dem ich in diesem Zusammenhang gar nicht länger agieren will. Am ehesten würde ich die "Missgeburten" wieder auf das vorangegangene  "Kriechervolk" beziehen, theoretisch könnte man aber etwa auch eigene Gedanken, Pläne und Ideen, die man während des Lebens verwirft, hineininterpretieren.

Die kannten einen Weg ans Licht, obschon sie voller Schwärze
Der Taumel der Gefühle war der Hirte dieser Wege
Denn das Ziel all jener Reisen war ein Spiegelbild der Herzen
Verzweiflung und Verzückung waren untrennbar verworren
Der Widerspruch in allem schien sich selber zu verspotten
Die Gier, die Pein zu spüren, schrie in meinen heißen Schläfen
Und um unsere Fluchtburg schien ein Weltbild zu verrotten
In kalten Katakomben wuchsen gräuliche Visionen  
Und unter einem jungen Himmel starb ein alter Frieden
Und dennoch schien ein Zerrbild seiner selbst sich zu verhöhnen  
Und stürzte sich auf all die Missgeburten, die uns mieden  
So waren also Hass und Liebe untrennbar verbunden  
So war der Weg zu neuen Ufern nicht zu überschau'n  
So war doch dieser Weg der einz'ge Pfad, den wir verstanden
So spürten wir nicht ohne Qual des Lieben eis'ge Klauen
Und unvermittelt sah ich in den Spiegeln nur noch Schöpfer
Und Welten, die zuletzt ich in der Kinderstube sah
Der Zwiespalt zwischen Traum und Überleben schuf ein Chaos  
Das unter Schmerzen und doch lächelnd eine neue Welt gebar
Und so entstanden Worte, die auf taube Ohren stießen
Wie Artefarkte eines Traums in einer toten Welt  
Gesten, die dem blinden Mob wie zum Verzehr geboten  
Was, wenn der letzte Barde unrettbar im Disseits fällt...?



Waren die bisherigen Strophen noch relativ gut allgemein zu interpretieren, so wird es nun persönlicher:
"Desihras Tagebuch schreibt in meinem Herzblut". "Desihra" ist, laut Wikipedia, der frühere Name der Band. Die folgende Strophe handelt also von Erfahrungen der Band. Was nicht bedeutet, dass nicht schon das ganze Lied davon handelt, hier wird es lediglich explizit hervorgehoben...

Die folgende Strophe wartet plötzlich mit Puppenmetaphorik auf. Eine höchst spannende Sache, schreibe ich doch gerade eine Arbeit über exakt dieses Thema. Die Puppen schlagen meines Erachtens den Bogen zum tumben Kriechervolk der ersten Strophe, das sich kontrollieren lässt und nachahmt. "dämmriges, kränkelndes Licht" ist eine Metapher. Licht kränkelt nicht.
Die "lieblichen Kleidchen" stehen in meiner Interpretation für die Abhängigkeit und Anpassung innerhalb der Gesellschaft, für den Zwang gewisse Normen zu erfüllen. Gleichzeitig zittern und zucken die Puppen, sind schwach und fühlen sich in der Situation nicht wohl, können aber auch nicht ausbrechen. "Sieh nur die Augen, den Schmerz und die Angst". In ihrem Versuch die Norm zu erfüllen, "missklingen ihre Töne", enden in einer "Kakophonie". "Ein erschreckendes Bild, sich die Zeit zu versüßen" lässt sich von der sprachlichen Konstruktion her wieder auf zwei Arten deuten: Einerseits versuchen die Puppen sich die Zeit zu versüßen, indem sie sich anpassen, tanzen und ihre hübschen Kleidchen anziehen, dabei aber eigentlich leiden und daher ist das Bild erschreckend. Ein ziemlich gesellschaftskritischer Zugang und hierbei ist es egal, ob man Mainstream-Kultur oder schubladenglorifizierende Subkulturen vor sich hat.
Andererseits könnte man es auch schadenfroh deuten: Man versüßt sich die Zeit mit der Beobachtung willenloser, gefangenen Marionetten.

Bei meiner Gliederung folgt die vorletzte Strophe, die wieder mit der schon bekannten Gegensätzlichkeit von Veritas und Vanitas um sich wirft. "Süß sind die Früchte, doch faulten die Wurzeln Schon als voller Omen der Frühling begann. In den Ästen die Vögel mit eiskalten Augen Sie singen von nichts als dem Weltuntergang". Während das eine noch genossen wird, deutet das andere unweigerlich auf die Vergänglichkeit. 

Und schließlich folgt die letzte Strophe. (Das freut mich, sitze ich doch schon wieder über fünf Stunden an diesem Blogeintrag - Nur so am Rande.) Diese letzte Strophe überfordert mich gleich zu Beginn: "So bringt uns die goldenen Äpfel, denn die, an die der Norden glaubt. Sind fabelhafte Gärtner,... obschon uns vor dem "Ewig" graut". Der Apfel als Frucht ist sicher wieder ein Symbol für Leben, gleichzeitig aus christlicher Sicht auch Schlüsselelement im Fall der Menschheit, der uns schlussendlich, nach biblischer Mythologie, überhaupt erst zum Sterben verdammt. Wer die sind, an die der Norden glaubt, die auch noch fabelhafte Gärtner sein sollen, ist mir nicht klar. Der Norden könnte eventuell von der christlichen Mythologie in die nordische Götter- und Heldenwelt weisen. Nun plötzlich graut uns (uns etwa auch?) aber auch vor dem "Ewigen", egal in welcher Tradition wir uns  bewegen, egal ob wir dieses "Ewig" nun als vor oder nach dem Tod interpretieren, als ewiges Leben, oder ewiges Ausgelöscht-Sein, es ist eine furchteinflößende, gewaltig riesige Konstante.    
"Doch nichts ist mehr so, wie es einstmals war" ist ein mittlerweile schon bekannter Perspektivenwechsel in die Vergangenheit, die Feststellung der Veränderung, aber auch wieder eindeutig das Vergänglichkeitsmotiv. Nichts ist mehr wie es war. "Die Früchte, die brachten, wonach alle trachten. Sind schön, doch schon lange verdorben"  zeigt wieder die Dichotomie aus Veritas und Vanitas, das gewünschte Freudige und die unausweichliche Vergänglichkeit. Es folgt eine wahre Überraschung, mit der ich absolut nicht gerechnet hätte. Das depressive Hin und Her aus Freude und Schmerz, Leben und Tod wandelt sich zu einem Happy End. All die dunklen Gedanken enden mit einer positiven Grundstimmung, die Hoffnung auf die Zukunft ist bei aller Vergänglichkeit noch präsent! "Das Morgen ist noch nicht verloren". Ein sehr schöner, wichtiger und hoffnungsvoller Gedanke.
Und dann folgt  noch die Titel gebende Zeile "und Pan spielt die Flöte". Pan, vermutlich in der Populärkultur vor allem durch den großartigen Film "Pans Labyrinth" bekannt, ist ein griechisches Fabelwesen, das je nach Legende entweder von Hermes und der Nymphe Dryops, Zeus und der Nymphe Kallisto oder Hybris oder Kronos und der Nymphe Amaltheia abstammt. Pan ist der Hirtengott, Gott über Wald, Feld und Natur und er spielt gerne Flöte. Dazu erzählt Wikipedia:

"Die Legende der Panflöte: Pan verfolgte liebestrunken die Nymphe Syrinx, welche aber vor ihm floh. Ihre Flucht endete jäh am Fluss Ladon, wo sie sich plötzlich in ein Schilfrohr verwandelte, das Pan daraufhin umarmte. Als nun der Wind in das Rohr blies [sic] kamen klagende Töne hervor. Pan wollte die Klänge nicht verlieren, also brach er aus dem Schilfrohr sieben Teile, eines immer etwas kürzer als das vorherige, und band sie zusammen. So erfand er die Hirtenflöte und benannte sie nach der Verwandelten."

Spannend ist, was der arme Pan dann während der christlichen Regentschaft erleiden musste, wurden seine positiven Aspekte doch einfach gestrichen und seine Hörner und Ziegenfüße dem Teufel vererbt. Was bedeutet das für die Interpretation? Einerseits kann Pan die Naturverbundenheit darstellen, andererseits kann man ihn natürlich auch mit dem christlichen Teufel assoziieren. Mir persönlich gefällt der Gedanke, dass er in diesem Lied Gleichgültigkeit symbolisiert. Knapp 15 Minuten war das Lied ein Spiel und Geflecht aus Gegensätzen und die letzte Zeile meint, was auch immer passiert und vor sich geht, Pan sitzt auf seinem Stein und spielt die Flöte. Um eine andere Metapher zu verwenden: Die Welt dreht sich auch ohne uns weiter. Die Menschen inszenieren sich gerne als unglaublich wichtig und als Krone der Schöpfung, dem gegenüber steht Pan frei und gelassen und spielt seine Flöte. Eine Conclusio, die meines Erachtens auch einen gelungenen Abschluss zum Vor- und Zurück-Blicken im Leben bietet, wie es in dem Lied dargestellt wird.



Weit fort von den Zinnen verblendeten Lärms  
Dort draußen, weit hinter den Toren
Liegt fast unerreichbar das Land, das wir suchten
Das "Morgen" ist noch nicht verloren

...und Pan spielt die Flöte!








[Off Topic] Die Geburt eines neuen Blogs!

Liebe Internetgemeinde!

Während dieser Blog hier zielstrebig seinem 5000. Besucher zustrebt, habe ich den gestrigen Tag, welcher durch die Veröffentlichung der neuen "Geist" - die jetzt "Eis" heißen - Platte "Wetterkreuz", einer der großartigsten deutschen Bands, die es so gibt und die ihr selbstverständlich aus meinem Blogeintrag zu  Geists "Unter toten Kapitänen" kennen solltet, geradezu als Feiertag bezeichnet werden muss, dazu auserkoren, einen neuen Blog hervor zu bringen!
Die Idee dahinter ist diesem Blog nicht unähnlich und quasi direkt an der Front entstanden.
Kurz: Ich stand in einem fremden Land, bemühte mich einer Studentin die deutsche Sprache in ihren grundsätzlichsten Basics näher zu bringen, als selbige mich fragte, was denn eigentlich "du hast" bedeutet?
Mein Herz frohlockte, sah ich es doch als Bestätigung meiner These, dass hinter Rammstein Texten nicht zu verachtende didaktische Möglichkeiten liegen.
Da wir fortan sehr viel Spass mit dem Übersetzen diverser Rammstein Texte hatten, soll nun dieser neue Blog einfach dazu dienen deutschsprachige Songtexte in die englische Sprache zu übersetzen.
Mir ist klar, dass es unzählige Websites gibt, die Lyrics listen und selbige oftmals auch vom Deutschen ins Englische übersetzt haben, jedoch gehen oftmals feine Wortspiele verloren und generell könnte man zusätzliche Informationen liefern, die vielleicht nicht immer ganz ersichtlich sind, aber für Interessierte durchaus spannend sein können. Desweiteren möchte ich generell auf deutsche Medien eingehen, unter anderem auch gute deutschsprachige Filme vorstellen und wer weiß? Vielleicht ja sogar mal einen Originaltext eines Goethe oder Schillers erwähnen. Den Möglichkeiten sind kaum Grenzen gesetzt.
Da ich kein Student der Anglistik bin, hoffe ich, dass ich gut genug mit der englischen Sprache jonglieren kann, um meine Anliegen halbwegs gut übersetzen und umsetzen zu können. 

Abschließend:
  • Anlässlich des baldigen 5000. Views hier sammle ich noch immer Mut um mich an das Mammut-Projekt "Nocte Obducta - Und Pan spielt die Flöte" zu wagen. Da ich das Lied absolut großartig finde, wäre es mir ein großes Anliegen selbiges hier zu präsentieren. Sieht man sich jedoch die Lyrics gepaart mit der Länge des Songs (15 Minuten) an, so wird man mir zustimmen müssen, dass sich diese Festung nicht so leicht einnehmen lässt. Dennoch bereite ich mich schon länger seelisch darauf vor und freu mich schon. Es wird kommen. Wenn ich nicht kleinlaut aufgebe ;-)
  • Auch das neue "Eis" Abenteuer "Wetterkreuz" klingt über jeden Zweifel erhaben und ist seinem Vorgänger "Galeere" ein absolut würdiger Nachfolger. Sehr gern würde ich auch eines der Lieder von diesem Album hier interpretieren, aber ich bleibe noch bei meiner Philosophie vorläufig nur ein Lied pro Band zu analysieren. Der einfache Grund ist, dass es genügend andere deutsche Musik gibt und ich mich in diesem Blog nicht auf eine spezifische Richtung oder Band fixieren will, sondern ein möglichst breites Spektrum an deutscher Musik präsentieren möchte.

So far, herzlichsten Dank für knapp 5000 Blogaufrufe und gute Nacht!