Die nächste Woche kann ich mein kleines Projekt leider nicht fortführen, da ich mich auf einer sieben tägigen Fortbildungstagung in Slowenien befinden werde.
Obwohl ich auf dieser Tagung sicherlich viele neue Inspirationen für mein kleines Projekt hier bekommen werde, so hab ich doch auch jetzt schon die eine oder andere Idee, die sich eine Umsetzung wünscht. Ich hoffe, ich verliere in dieser Woche nicht das Interesse an dem Blog.
Zum einen will ich eine Art Tagebuch führen und das eventuell dann veröffentlichen, quasi als Einblick für Menschen, die niemals auf einem solchen Event waren. Ich denke, das könnte ganz interessant sein?
Ob ich das auch wirklich durchziehe, ist natürlich eine andere Frage, jedoch hab ich zu diesem Zweck schon ein sündhaft teures Notizbuch gekauft. Zum anderen hab ich auch schon ein neues Lied im Blick, das nach einer Interpretation schreit!
Übrigens, wer denkt, es handle sich bei einem solchen Festival um eine vom Teufel gesponserte schwarze Messe voll ungezügeltem Sex, sündigem Alkoholkonsum und Menschenopfern, den möchte ich in seiner falschen Weltanschauung korrigieren!
Dazu ist ein kleiner Ausflug in die Philosophie nötig, genauer zu Nietzsche. Nietzsche beklagte schon zu seiner Zeit, dass die Menschheit verlernt hätte richtig zu "leben". Begonnen hätte das mit Sokrates, der sich so sehr in sein Denken gesteigert hätte, dass keine Zeit mehr zum "leben" bliebe.
Früher, vor Sokrates, hätten die Menschen in friedlicher Eintracht mit Apollon und Dionysos gelebt.
Vereinfacht steht Apollon für das kühle Rationale, das Individuum, für sittliche Reinheit und Mäßigung.
Dionysos hingegen steht für die rauschhafte Auflösung alles Individuellen und für das Triebhafte. Auch ist er der Gott des Weines. Durch Sokrates' starke Konzentration auf das Apollinische hat er Dionysos quasi getötet und die Menschheit aus dem Gleichgewicht gebracht.
-Aus diesen Überlegungen schrieb Nietzsche seine "Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik".
Man sieht, die Musik steckt hier schon im Titel, auch wenn Nietzsche das Rauschhafte in Wagner-Opern meinte. Jedoch hatte der gute Mann auch nie die Gelegenheit auf eines der modernen Festivals zu fahren:
Würde Friedrich Wilhelm Nietzsche dieses Video sehen oder wäre er dabei gewesen, er wäre sicher überglücklich gewesen ob dieser puren Manifestation des Dionysischen. Man betrachte all die Menschen, die aufgelöst zu einer rauschhaften Masse glücklich gemeinsam in der Musik schwelgen! In diesem speziellen Fall teilt selbst die Band die Bühne mit anderen Bands und verschwimmt somit auch zu einer größeren Einheit, Grave Digger teilen die Bühne mit Van Kanto und Hansi Kürsch (dem Sänger von Blind Guardian). Gemeinsam feiern hier zehntausende Menschen friedlich, ausgelassen, den Augenblick genießend und geben sich ganz den Freuden der Musik hin!
Man sieht, es geht bei einem Festival also weniger darum, sich wie die Schweine im Dreck zu suhlen oder Koma zu saufen, als viel mehr eine kurze Auszeit von unserer schnellen, von Zeitdruck, Zahlen, Leistung und Fakten dominierten, apollinischen Welt zu nehmen. Sokrates Fehler auszugleichen, Dionysos zurück in unser Leben zu lassen, einen gesunden Ausgleich zu schaffen!
Entspannung, Freude, Freundschaft, "kontrollierte Anarchie". Die andere Seite des Lebens für ein paar Tage bewusst leben und genießen!
Ich wünsche allen, die sich nächste Woche nicht von Dionysos küssen lassen, eine schöne Zeit, hoffentlich bis bald!
Guten Tag, werte Fremde, die zufällig hier gestrandet sind!
Heute möchte ich "Unter toten Kapitänen" der deutschen Band "Eïs", ehemals "Geïst", interpretieren. Schon zu Beginn sei gesagt, dass dieses Stück in meinen Augen so mächtig und erhaben ist, dass ich es fast nicht wage mich an diese Nummer heranzutasten. Und dennoch, dieses Lied gefällt mir ausgesprochen gut und ich denke, es ist ein perfektes Stück um zu zeigen, dass Black Metal, so man die Musik dieser Band denn so titulieren will, weit mehr sein kann als kindisches Gebrabel über Satan und die böse Kirche. Leinen los für "Unter toten Kapitänen!"
Lyrics:
Nichts, was wir in unserer Umwelt wahrnehmen, zeigt je sein wahres Gesicht. Es versteckt sich in einer Maske, die ein unerforschliches Wesen hervorgebracht hat. Wenn ich auch nur die Maske sehe, es ist das, was hinter der Maske versteckt ist, was ich so hasse! Das Böse ist es, das die Menschen seit Urzeiten plagt und verängstigt und ihr Denken beherrscht. Das uns verletzt, verstümmelt anstatt uns einen schnellen Tod zu schenken. Das Menschen zwingt weiterzuleben mit einem halben Herzen, einer halben Lunge.
Schau die Glut hinter den Wellen, wie sie ohne Klang erlischt.
Vielleicht ist diese Dämmerung unsere letzte.
Leuchtturm waren wir in all den Stürmen, an unseren Tauen hingen blutend die Laternen.
Alles was hier nun noch scheint, ist mattes Licht wie aus Tavernen.
Aber schau, wir segeln unter toten Kapitänen.
Wo der scheue Geist im Meer und stille Dunkelheit sich flüchtet, sucht tönerne Werke nicht! Und solltet ihr sie finden, lasst sie wehen: Es ist besser, dass ihr sie vernichtet.
Sieh!
Über den Wellen sinkt die Nacht herab und unsere Segel sind erfroren.
Vielleicht ist diese Flaute unsere letzte.
An unserem Bug zerschnitten tausend Wetter und von unserem Deck erklangen tausend Lieder.
Alles, was hier nun noch klingt, ist der Gesang von schwarzen Schwänen.
Sieh!
Wir segeln unter toten Kapitänen.
Ich fühl mich alt, als wär ich Adam. Gebrochen von der Last der Jahrmillionen seit der Flucht aus dem Paradies. Welcher Geist, welcher Dämon, welches unerforschliche Wesen umringt mich in meiner Sehnsucht nach Liebe? Unaufhaltsam, ohne Unterlass weiter. Und zwingt mich zu Taten, die mein eigentliches, innerstes Wesen verabscheuen. ... [diese Stelle ist mir absolut unverständlich] unergründliche, endlose See!
Aus den modernden Urnen gesunkener Schiffe schreien die Glocken und Hörner, rühren das Wasser und treiben den Nebel über die kalkweißen Klippen gegen die Stadt,
dass, wenn ihr erwacht, ihr den Ruf der Götter dumpf nur geträumt habt:
Alles ist ewig verloren.
Ich sah ein Schiff auf seiner dritten Fahrt in den verfluchten Erdenwinter treiben. Vielleicht war diese Reise seine letzte. Am gebrochenen Revers der Kapitäne sah ich von Ferne noch Medaillen leuchten und im Mahlstrom tauchte etwas auf und etwas tauchte unter, das ich nicht erkannte.
Niemand weiß, wohin wir segeln, unter toten Kapitänen.
Rhetorische Figuren:
Bei "Unter toten Kapitänen" gibt es kein vernünftiges Reimschema, die Strophen sind unterschiedlich lang und zwischen das "Gekreische" (=Volksmund) oder auch den "gutturalen Gesang" (=Wikipedia) mischen sich klar gesprochene Passagen. Doch dazu später mehr.
Ein fixes Reimschema, das als Futter für den gemeinen Ohrwurm dient, gibts also nicht, die Substanz des Textes und des Liedes will wohl aus anderen Faktoren gewonnen werden. Damit sind wir wieder bei den rhetorischen Figuren, die jeden Text hübsch und schön machen. Und im Falle von "Unter toten Kapitänen" erschlagen einen die sprachlichen Bilder förmlich.
Ich werde nicht Zeile für Zeile über das gesamte Lied gehen, sondern eher drüberfliegen, denn zum einen hab ich nicht den ganzen Tag Zeit, zum anderen würde es eh kein Mensch lesen.
"Schau die Glut hinter den Wellen, wie sie ohne Klang erlischt." Hinter Wellen kann es keine Glut geben, das könnte man schon als Paradoxon durchgehen lassen, zusätzlich ist es natürlich eine Metapher für Sonne und ein Vergleich. Die untergehende Sonne wird mit erlöschender Glut verglichen. "Leuchtturm waren wir in all den Stürmen" steht wohl für gemeinsam überstandene Gefahren. Der Leuchtturm, Licht als Symbol für Hoffnung, "Stürme" zum einen als Symbol für Gefahren generell, zum anderen bei einem Lied über Seefahrt natürlich auch als Sturm selbst. Auch die "toten Kapitäne" könnte man einerseits natürlich wörtlich als Geisterpiraten verstehen, wie etwa in den viel zu erfolgreichen Fluch-der-Karibik-Filmen. Andrerseits könnten sie auch metaphorisch für Noch-Lebende stehen, die beispielsweise auf einer Fahrt ins Ungewisse sind, aus dem eine Heimkehr unwahrscheinlich ist und mit deren Tod schon gerechnet wird. "Sinkt die Nacht herab" mag wohl im alltäglichen Sprachgebrauch schon fester Bestandteil sein, aber diese Redewendung dürfte dennoch metaphorischen Ursprungs sein. "An unserem Bug zerbrachen tausend Wetter" ist in meinen Augen zum einen eine Metapher, "Wetter" zerbricht oder zerspringt (das Wort ist nicht ganz eindeutig zu verstehen) nicht, ebenso fühlt sich hier Wetter nicht ganz korrekt an. Ich würde "Wetter" hier als Synekdoche für dieses ganze Witterungsbegriffsfeld sehen. "Stürme", "Unwetter", "Gewitter", eventuell sogar "Klima", "Wetter" alleine scheint mir jedoch eine ziemlich verharmlosende Variante aus einem größeren, stärkeren Ganzen. "Aus den modernden Urnen gesunkener Schiffe" ist ebenfalls eine ganz hübsche Metapher für ertrunkene Seeleute und noch in der selben Zeile "schreien die Glocken und Hörner": Instrumente schreien nicht und schon gar nicht unter Wasser. Damit sind in dieser Zeile nicht nur zwei Metaphern, sondern auch ein Paradoxon beschrieben. Würde man sich noch weiter mit den Stilmitteln in diesem Text beschäftigen, so würde man sicher noch so einiges zutage fördern, ich werde mich jetzt aber dem Inhalt zuwenden.
Inhalt:
Dieser Song lebt von seiner Stimmung. Alleine die Länge des Liedes, es dauert über 15 Minuten, spiegelt schon die endlose Weite des Meeres und das Lied nimmt sich alle Zeit der Welt um die Atmosphäre der rauen See langsam aufzubauen. Ganze drei Minuten, andere Lieder neigen sich zu diesem Zeitpunkt bereits dem Ende zu, nimmt sich "Unter toten Kapitänen" um mit der ersten Textpassage zu starten. Bis hierhin gibt es nur Geräusche der Schifffahrt, ein Piepen lässt ein Radargerät oder ein Sonar vermuten, die schwere, ruhige Melodie schwingt langsam und beständig wie die endlosen Wellen des Ozeans zu uns.
Aber bevor es an die erste Textpassage geht, noch ein kurzer Diskurs über die musikalische Geschichte der Seefahrt der letzten Jahre:
Geist stehen mit dieser Thematik bei weitem nicht allein da. Man nehme als weitere Beispiele das ebenfalls schöne Raue See der ebenfalls aus Deutschland stammenden Mittelaltertruppe "In Extremo" oder so ziemlich das Gesamtwerk der (Überraschung!) aus Deutschland stammenden Band "Ahab", die sich schon nach dem Kapitän aus "Moby Dick" benannt hat. Ein wunderschön schwermütiges Beispiel wäre hier O Father Sea. Aber auch von Übersee gibt es natürlich Seefahrtsmetal wie etwa Alestorm ("True Scottish Pirate Metal") oder Swashbuckle, von den ganzen Vikingmetalbands mal zu schweigen. Geist liefern hier also nichts besonders Innovatives, wenn sie ein Album über Seefahrt machen. Haben sie dennoch ihre Existenzberechtigung?
Selbstverständlich, da die genannten Bands selbige Thematik doch sehr unterschiedlich angehen!
Was Geist betrifft, so ist der Zugang ein schwermütiger, melancholischer, unheilvoller, während etwa Alestorm die Freude verbreitet, die die letzten Fluch-der-Karibik-Filme schmerzlich vermissen ließen.
Aber zurück zu "Unter toten Kapitänen": Nach dem atmosphärischen Intro kommt nach drei Minuten die erste ruhig gesprochene Textpassage.
Nichts, was wir in unserer Umwelt wahrnehmen, zeigt je sein wahres Gesicht. Es versteckt sich in einer Maske, die ein unerforschliches Wesen hervorgebracht hat. Wenn ich auch nur die Maske sehe, es ist das, was hinter der Maske versteckt ist, was ich so hasse! Das Böse ist es, das die Menschen seit Urzeiten plagt und verängstigt und ihr Denken beherrscht. Das uns verletzt, verstümmelt anstatt uns einen schnellen Tod zu schenken. Das Menschen zwingt weiterzuleben mit einem halben Herzen, einer halben Lunge.
Ziemlich stimmungsvoll, unheilvoll, misantropisch. Das geeignete Stichwort ist hier: Intertextualität.
Ich hätte es nicht gewusst, ein Freund hat mich darauf aufmerksam gemacht. Geist zitieren hier leicht abgewandelt aus der Moby-Dick-Verfilmung aus dem Jahre 1956.
Yet he is but a mask. 'Tis the thing behind the mask I chiefly hate; the malignant thing that has plagued mankind since time began; the thing that maws and mutilates our race, not killing us outright but letting us live on, with half a heart and half a lung.
Das, was jenseits der Maske liegt, ist, was ich hasse,... ..jenes bösartige Ding, das die Menschen seit jeher peinigt und ängstigt. Das uns malträtiert und verstümmelt,... ..aber doch nie ganz tötet, sondern weiterleben lässt,... ..mit einem halben Herzen und einer halben Lunge. Gott beschütze uns. Die Besatzung steht hinter mir, Mr. Starbuck. Sie haben ihren Schwur gehört. Und Sie,... ..was sagen Sie?
Ich kenne zwar weder Buch noch Moby-Dick-Filme, jedoch ist diese Geschichte, und sei es nur der bloße Name, wohl im allgemeinen Kulturverständnis als DIE Seefahrtsgeschichte schlechthin gespeichert. Wie könnte man also besser einen Song über die Schwierigkeit und die Gefahren der Seefahrt beginnen als sich auf dieses Buch zu beziehen? Ich kann nur vermuten, dass auch die zweite klar gesprochene Passage ein Zitat aus Moby Dick ist, gefunden hab ich leider nichts dazu.
Inhaltlich geht es schwermütig und melancholisch weiter. Wieder häufen sich Abend- und Nachtbeschreibungen, Symbole für das Ende, für den Tod; alles deutet auf den Lebensabend hin. Bisher konnte allen Gefahren getrotzt werden, doch diese Fahrt scheint die letzte zu werden. Wobei, wie oben angesprochen, natürlich die Frage bleibt, ob die "Toten Kapitäne" Geister, verlorene ertrunkene Seelen sind oder zukünftige Tote auf einer Fahrt ins Ungewisse. Man stelle sich vor, wie sich die Menschen auf Schiffen aus Holz oder, noch viel früher, sogar aus Schilf(!) gefühlt haben, die ins Ungewisse aufbrachen: Völlig den Gewalten der Natur ausgeliefert! Reicht der Proviant, reicht das Trinkwasser? Fragen, die wir uns heutzutage nicht mehr stellen müssen. Wir ärgern uns über 2 Stunden Check In und fliegen gemütlich in 25 Stunden an jeden Ort der Welt.
Ich denke, dass Geist dieses Ungewisse, dieses den Meeren Ausgeliefertsein, perfekt einfangen.
Angeblich, so lernten wir es in "Bildnerische Erziehung", saßen die Menschen früher stundenlang vor Gemälden und fantasierten. Quasi Fernsehersatz! Sieht man sich diverse Gemälde der Marinemalerei an, so ist das auch verständlich. Teilweise ist es traumhaft, was für Stimmungen, auch unheilvolle von sinkenden Schiffen, eingefangen werden!
Sieht man sich das Albumcover von Geists "Galeere" an, wird man mir wohl zustimmen müssen, dass dieser Vergleich ganz treffend ist und auch "Unter toten Kapitänen" ein würdiges letztes Lied eines unglaublich stimmungsvollen Gesamtkunstwerkes ist:
"Unter toten Kapitänen" ist musikalische Marinemalerei. Schaurig schön, stimmungsvoll und der Beweis, dass Black Metal (wobei ich "ambient" treffender finde) auch grandios ohne Satan funktionieren kann!
-edit 14.02.12: kaputte Links zu Videos und Bildern ausgetauscht, sowie Ergänzung der deutschen Textpassasge aus der deutschen Moby Dick-Verfilmung, nach anonymer Link-Spende, siehe Comments. Außerdem hab ich überall den Blocksatz draufgeknallt... linksbündig erzeugt Augenschmerzen, das Brainwashing der Universität funktioniert.
Und auf gehts in die erste Runde!
Ich möchte mit einer Band beginnen, die auf der einen Seite unzählige Fanscharen auf der ganzen Welt hat, der aber auf der anderen Seite oftmals vorgeworfen wird, ihre Lyrics wären primitiver, provokativer Mist und ihre Melodien bestünden aus nur drei unterschiedlichen Tönen. Die Rede ist selbstverständlich von Rammstein, für das Lied "Ohne dich" hab ich mich entschieden, weil es auf den zweiten Blick eine Fülle an Interpretationsmöglichkeiten bietet und... ich finde es sehr schön.
Ich werde in die Tannen gehen
Dahin wo ich sie zuletzt gesehen
Doch der Abend wirft ein Tuch aufs Land
Und auf die Wege hinterm Waldesrand
Und der Wald er steht so schwarz und leer
Weh mir, oh weh
Und die Vögel singen nicht mehr
Ohne dich kann ich nicht sein
Ohne dich
Mit dir bin ich auch allein
Ohne dich
Ohne dich zähl ich die Stunden
ohne dich
Mit dir stehen die Sekunden
Lohnen nicht
Auf den Ästen in den Gräben
Ist es nun still und ohne Leben
Und das Atmen fällt mir ach so schwer
Weh mir, oh weh
Und die Vögel singen nicht mehr
Ohne dich kann ich nicht sein
Ohne dich
Mit dir bin ich auch allein
Ohne dich
Ohne dich zähl ich die Stunden
Ohne dich
Mit dir stehen die Sekunden
Lohnen nicht
Ohne dich
...
Rhetorische Figuren:
Was für eine Freude, gleich in der ersten Zeile wird nicht in den "Wald" gegangen, sondern in die "Tannen". Und hier könnte man auch sofort streiten, ob es sich um eine Metonymie oder eine Synekdoche handelt, meines Erachtens ist beides möglich.
"Doch der Abend wirft ein Tuch aufs Land" ist eine hübsche Metapher, es wird dunkel.
Auch "Der Wald er steht so schwarz und leer" ist meiner Meinung eine Metapher. Wenn auch vielleicht keine sonderlich starke mehr, so glaube ich nicht, dass ein Wald "schwarz" stehen kann. "Auf den Ästen in den Gräben" würde ich hingegen nicht als Metapher oder Metonymie betrachten, da die Bezeichnung Graben durchaus gängig für Schluchten ist. Auch wenn es sich dabei zweifellos um ein schönes Bild handelt.
Im ganzen Lied befinden sich auch noch diverse Anaphern, Alliterationen und ein Kyklos, wobei es heir auch von der Definition der Figuren abhängt und wie weit diese Begriffe gedehnt werden dürfen. Bei einem Lied mit relativ freiem Reimschema ist es schwierig die Abgrenzungen und Abstände zu definieren. Zweite und dritte Zeile beginnen mit D, was ich als Alliteration sehen würde. In der dritten Zeile fällt die Häufigkeit der ähnlichen Anfangslaute auf: "Doch Der abend wirft ein Tuch". Das trifft auch auf die "Wege hinterm Waldesrand" zu. Die Zeile "weh mir, oh weh" ist streng genommen ein Kyklos. "Stehen die Sekunden" ist ein weiteres Beispiel für eine Alliteration. Anaphern wären beispielsweise das wiederkehrende "und" am Zeilenanfang, oder auch das "Ohne dich", die dem ganzen Lied auch durch die Wiederholungen eine gewissen Zusammenhalt geben.
Inhalt:
Zunächst wird eine Wanderung in den Wald beschrieben, während es langsam Abend wird. Den beginnenden Abend kann man als Vergänglichkeitssymbol betrachten. Ein Thema, das in der Lyrik durchaus häufig behandelt wird. Gleichermaßen wird aber auch auf eine Person Bezug genommen, möglicherweise auf eine "Geliebte"? In der ersten Zeile heißt es "dahin wo ich SIE zuletzt gesehen". Ist diese "Sie" diejenige ohne die er nicht sein kann? Handelt es sich um einen Menschen? "Ohne dich zähl ich die Stunden" deutet auf die Sehnsucht und die Erwartung auf "Sie" an. Jedoch ergibt sich ein Paradoxon aus "mit dir stehen die Sekunden, lohnen nicht". Wofür also erwartungsvoll die Stunden zählen, wenn sie sich nicht lohnen? Da das ganze Lied auch von der Nacht handelt, könnte mit "Sie" auch "die Nacht" selbst gemeint sein. "Ohne dich zähl ich die Stunden", wenn man Beispielsweise auf Feierabend wartet, wenn man aber in der Nacht schläft, stehen für einen selbst quasi die Sekunden, sie lohnen sich jedoch auch nicht direkt.
Betrachtet man das Ganze als Liebeslyrik, so ist besonders der Widerspruch am Ende sehr reizvoll, der sich auch mehrmals aufhebt:
Ohne dich kann ich nicht sein
Ohne dich
Mit dir bin ich auch allein
Ohne dich
Ohne dich zähl ich die Stunden
Ohne dich
Mit dir stehen die Sekunden
Lohnen nicht
Ohne dich
"Ohne dich kann ich nicht sein" gegen "mit dir bin ich auch allein", sowie das schon angesprochene: "Ohne dich zähl ich die Stunden" gegen "Mit dir stehen die Sekunden-lohnen nicht", was jedoch durch die darauffolgenden "ohne dichs" noch ins Positive gekehrt wird: Die stehenden Sekunden lohnen sich ohne dich nicht!
Eine weiterer Interpretationsansatz, sieht man sich die Band an, so wirkt er weit hergeholt, der aber erstaunlich gut funktioniert: "Dich" bezieht sich auf Gott. In diesem Interpretationsansatz lässt sich das Vergänglichkeitsmotiv der Abenddämmerung mit dem "Ohne dich" verbinden. Ohne Gott wäre kann man nicht sein, mit ihm ist man jedoch auch allein. Eine kritische Gotteswahrnehmung wie etwa in Rilkes "Was wirst du tun Gott wenn ich sterbe". Dieses Gedicht kam mir jedenfalls bei diesen letzten Zeilen in den Sinn. Und auch wenn dieses Motiv für Rammstein wohl unwahrscheinlich ist, so kann man beispielsweise in Rammsteins "Dalai Lama" eindeutige Parallelen zum Erlkönig erkennen, oder in "Haifisch" zu Brechts "Mackie Messer", woraus man schließen kann, dass die Herren belesener sind, als sie auf den ersten Blick scheinen. Wer weiß, vielleicht ist "Ohne dich" Rammsteins Interpretation dieses Rilke Gedichts. Ich persönlich würde es aber wohl am ehesten als Liebeslied interpretieren.
Ich möchte hier nur Beispiele für mögliche Interpretationsansätze liefern und somit zeigen, dass hinter dieser Band sehr viel mehr "Literarizität" steckt, als der erste Eindruck vermuten lassen würde.
Ich weise nochmal darauf hin, dass es sich hierbei um einige meine persönlichen Gedanken zu diesem Lied handelt und ich keinerlei Anspruch auf Richtigkeit erhebe. Ich lade aber herzlich dazu ein in den Comments weitere "eigene Meinungen" zu dem Lied zu posten. Oder generell Anregungen, Liedvorschläge für zukünftige Interpretationen etc.!
Dienstag, 5. Juli 2011
Schönen guten Abend, meine Damen und Herren!
Ein neuer Blog ist geboren. In diesem ersten Post werde ich kurz kundtun, was ich hier eigentlich vorhabe und wie es dazu kam.
Neulich las ich in einem Forum, diese und jene Band würde "dämliche Texte" machen, oder "es käme bei denen nicht auf den Inhalt an!". Ich finde, es handelt sich hierbei um einen großen Irrtum, dessen Aufdeckung ich hier anstrebe. In moderner liedhafter Lyrik, beispielsweise dem Zeug, das nicht auf meinen Wunsch hin so im Radio läuft, oder das Zeug, das auf meinen Wunsch hin in meinem CD-Player läuft, steckt meiner Ansicht nach oftmals sehr viel Literarizität. Auch wenn diese nicht unbedingt wahrgenommen wird, oder großzügig ignoriert wird. Was auch völlig legitim ist, ich will niemandem seine Hintergrundmusik stehlen und es sei hier auch hervor gehoben, dass ich keinerlei Anspruch auf Richtigkeit erhebe. Bei vielen rhetorischen Figuren kommt es oft zu Undeutigkeiten und Streitfragen und eine richtige Interpretation gibt es (meiner Meinung nach) nicht, auch wenn einige Menschen das glauben und auch nicht einsehen, dass ihre Ansicht der Dinge nicht zwangsweise die richtige, oder die einzig richtige ist. Eine Interpretation kann nur so gut sein, wie ihre Argumentation. Und dabei ist es auch nicht besonders wichtig, ob der Verfasser des Textes etwas ausdrücken wollte. Wichtig ist, was bei mir, dem Empfänger des Textes, ankommt. Was der Text - im Fall dieses Blogs vermutlich Song-Lyrics - bei mir auslöst. Was er in mir weckt, wie er mich bewegt, ob er mich ergreift. Das ist mein Basismaterial, mit dem ich arbeiten kann und muss. Ergibt sich ein Stilleposteffekt, so hat der Sender seine Botschaft nicht klar genug ausgedrückt. Was nicht schlecht sein muss, mich persönlich betrifft nur, was auch bei mir ankommt und das wiederum muss sich nicht mit der Meinung und Interpretation anderer decken.
Sollte aus diesem Blog tatsächlich einmal mehr werden, als ein einzelner Post, der im Treibsand der endlosen Weite des Internets versinkt und sollte je jemand diese Zeilen lesen, so lade ich sie oder ihn gerne zu Feedback ein. Übereinstimmung, Kritik (sowohl inhaltlich, gerne aber auch zur Rechtschreibung und besonders Beistrichen, -nicht meine Spezialgebiete), Anregungen zu Lyrics... immer her damit.
Mein Musikgeschmack ist "very openminded", ich kenne eigentlich keine Musikrichtung, aus der mir nicht zumindest ein Lied einfällt, das mir auch gefällt, daher weiß ich auch nicht, was mich hier so erwarten wird, aber beginnen werde ich wohl eher mit düstereren Klängen!