Donnerstag, 25. August 2011

Die Funkhausgruppe - Die Physiker

Es ist 17:30 Uhr, die Nachrichten:
Welle:Erdball, die sich ihrer Myspace-Page zufolge dem "Electro / Gothic / New Wave" zuordnen, haben sich im Jahr 2007 mit ein paar Freunden (namentlich: die PerlenHertzinfarkt und Sonnenbrandt) zusammen gesetzt und dabei die höchst erquickende Koproduktion "Funkhausgruppe" gegründet. Am  24. Juni 2011, nur vier Jahre später, erscheint auch schon das erste Album: Mono-Poly. Aber gut Ding braucht Weile und es handelt sich ja auch nur um ein Sideproject. Dabei handelt es sich auch nicht um das einzige Nebenprojekt dieser überaus produktiven Possen und so freu ich mich, dass ich dieses interessante Projekt kennen lernen durfte. Zuvor wurde bereits "Die Physiker" inklusive Musikvideo veröffentlicht und hiermit will ich mich nun befassen:


Lyrics:
Mikroelektronik, Technik, Chemie, Atomkraft, Physik
Technik, Atomkraft, ähm Quantenphysik

Wir sind integer, wir wissen mehr
gemein gefährlich, wir sind die Physiker
Unsere Gehirne sind riesengroß
Doch lasst uns niemals auf die Menschheit los
Wir sind die Physiker, wir wissen immer mehr

Technik, Chemie, Atomkraft, Physik
Technik, Atomkraft, Mathematik

Wir sind exzentrisch und elitär
auf Gold gebürstet, wir sind die Physiker
Und die Synapsen sind eingestellt
Nur auf die Zukunft, auf das Schicksal dieser Welt
Wir sind die Physiker, wir wissen immer mehr

Tötet die Visionen, sie sind explosiv
wie all unsere Gedanken radioaktiv
Doch wenn sie sich entfalten, dreht sich die Welt verkehrt
Hinter Schloss und Riegel gehören wir gesperrt

Technik, Chemie, Atomkraft, Physik
Technik, Chemie, Atomkraft, Mathematik

Wir sind die Zukunft, wir wollen mehr
sind das Gedankengift, wir sind die Physiker
Wir sind Verbrecher, total verrückt
nur für den Fortschritt und jetzt gibt es kein Zurück
Wir sind die Physiker, wir wissen immer mehr

Tötet die Visionen, denn sie sind explosiv
wie all unsere Gedanken radioaktiv
Doch wenn sie sich entfalten, dreht sich die Welt verkehrt
Hinter Schloss und Riegel gehören wir gesperrt

Technik, Chemie, Atomkraft, Physik
Technik, Chemie, Atomkraft, Mikroelektronik

Wir sind die Mörder, die Welt wird leer
macht euch bereit, wir sind die Physiker
Atomraketen und Torpedos
so lasst uns endlich auf die Menschheit los

Tötet die Visionen, denn sie sind explosiv
Wie all unsere Gedanken radioaktiv
Wenn sie sich entfalten, dreht sich die Welt verkehrt
Denn hinter Schloss und Riegel gehören wir gesperrt

Tötet die Visionen, denn sie sind explosiv
Wie all unsere Gedanken hoch radioaktiv
Doch wenn sie sich entfalten, dreht sich die Welt verkehrt
denn hinter Schloss und Riegel gehören wir gesperrt

Technik, Chemie, Atomkraft, Physik
Technik, Chemie, Atomkraft, Physik
Technik, Chemie, Atomkraft, Physik
Technik, Chemie, Atomkraft, Mikroelektronik


Stilfiguren, Rhetorik und Allerlei...
Gleich die erste Aufzählung ist meines Erachtens eine Enumeratio, eine Aufzählung ohne Nennung des Oberbegriffs "Wissenschaft" bzw. "Naturwissenschaft". Es folgen Alliterationen à la "Wir sind integer, wir wissen mehr", "gemein gefährlich".  Ziemlich clever ist auch die doppeldeutige Verwendung der Adjektive im Lied: so bedeutet "integer" zum einen "unbestechlich, redlich, ohne Makel", zum anderen ist es aber auch ein Begriff aus der Naturwissenschaft und Technik:
  Das Substantiv Integer (engl. integer, „Ganzzahl“) bezeichnet:
   -einen Datentyp in der Informatik, siehe Integer (Datentyp)
   -eine Ganze Zahl in der Mathematik
Wikipedia: Integer

Für das wohlige Hörempfinden sind die Strophen auch gereimt. Es gibt quasi drei verschieden aufgebaute "Strophen": Zum ersten die Aufzählung der naturwissenschaftlichen Disziplinen, die neben der Enumeratio meines Erachtens (Postitionsfiguren betreffend) auch noch eine Geminatio, "Eine Verdopplung bzw. Wiederholung eines Wortes oder Wortgruppe innerhalb einer Periode", ist! Schließlich werden zumindest die Worte "Technik, Chemie, Atomkraft" regelmäßig wiederholt. 
Der zweite "Strophentyp" besteht aus fünf Zeilen, bestehend aus zwei Paarreimen, während die fünfte und letzte Zeile sich umschließend wieder mit der ersten Zeile reimt.
Zu guter Letzt gibt es noch die vierzeilige Strophe, die aus zwei Paarreimen besteht. Interessant ist auch, die Vermischung der Fünfzeiler, die im Anfang des Liedes auftreten, mit den Vierzeilern, die den Schluss bestimmen. In der Mitte überschneiden sich die Vierzeiler und Fünfzeiler.
Ähnlich wie "integer" ist auch "exzentrisch" wieder doppelt belegt: mit den Bedeutungen "überspannt, nicht dem üblichen (Verhalten) entpsrechend, außerhalb des Mittelpunkts liegend" sowie weiteren Bedeutungen in den Naturwissenschaften: So gibt es laut Wikipedia die Exzentrizität in der Mathematik, der Technik und der Astronomie. Diese doppelte Belegung der Adjektive finde ich ein wirklich gelungenes Stilmittel, da sie zum einen natürlich das menschliche Verhalten der Physiker beschreiben, aber zum anderen auch konnotativ auf die Naturwissenschaft verweist.
Abschließend möchte ich noch auf diese Metaphern hinweisen: "explosive Visionen" und "radioaktive Gedanken".
Inhalt:
Das Lied handelt von Physikern, die sich selbst als Gefahr, jedoch auch als Zukunft betrachten. Es gibt hier nicht allzuviel zu interpretieren, da wir klare Angaben der Band haben: Es basiert auf dem gleichnamigen und höchst erfolgreichen Theaterstück des Schweizer Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt. Somit geht es also um ethische Fragen in der Wissenschaft. Zu welchem Preis darf was erforscht werden? Welche Grenzen dürfen nicht überschritten werden? Wie auch im zugehörigen Videoclip an die Tafel geschrieben wird: "Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurück genommen werden".
Mein erster Gedanke war, dass das Lied auch eine Reaktion auf die schrecklichen Ereignisse um das Atomkraftwerk "Fukushima" darstellt, denn spätestens nach dieser Katastrophe sollte die Thematik der Physiker nicht nur für Japan, sondern für die ganze Welt wieder höchst aktuell sein, jedoch erschien die Single samt Video zu "die Physiker" (laut Wikipedia) bereits im Februar, die Katastrophe in Japan war jedoch erst im März.
Dennoch, die Funkhausgruppe hat hier nicht nur ein erstaunlich intelligent inszeniertes Lied abgeliefert, sondern auch mit der Thematik leider völlig den Zahn der Zeit erwischt!

Montag, 15. August 2011

Markus Becker - Das rote Pferd

der unbekannte Hutmann
Am Freitagabend fuhr ich zwecks einer Geburtstagsfeier in die Fremde, wo wir in einen "Stadl" gegangen sind. Das ist im Prinzip eine Skihütte mitten in der Stadt. Après Ski ohne Ski und im Sommer. Eigentlich ganz sinnvoll, da man sich so die teuren Ski-Karten und Ausrüstung spart, vorausgesetzt natürlich, man steht auf diese Art Abendprogramm.
Ich persönlich steh da nicht so drauf und bevorzuge mehr die "böseren" Locations, aber ich dachte mir "sei ka fade Nocken" - und die Party geht ab. In diesem Stadl war so ein komischer Mann mit rotem Hut, den alle furchtbar angehimmelt haben und der sich mit vielen roten Hüten bei der tobenden Menge revanchiert hat. 
Außerdem hat er jede Menge Lieder live zum besten gegeben, so auch "das rote Pferd". Heute sollte ich nach kurzer Google-Recherche herausfinden, dass es sich dabei um den "Künstler" höchst persönlich handelte, den wir da glücklicherweise live erleben durften.
Das ist wirklich nicht mein Lied, aber ich bin ja ein Profi, also geh ich da mal völlig unvoreingenommen heran. Der Mann hat mit dem Lied problemlos die wilde Meute dirigiert, irgendeinen Reiz muss es also haben...?



Lyrics:
(Ich lasse alle Zwischencomments des Interpreten aus, der die Zuhörer immer wieder direkt anspricht und zum Mitsingen animiert, was (im Stadl) auch bestens funktioniert hat und natürlich wichtig für die Stimmung ist.)

Da hat das rote Pferd sich einfach umgekehrt 
und hat mit seinem Schwanz die Fliege abgewehrt
Die Fliege war nicht dumm, 
sie machte sumsumsum 
und flog mit viel Gebrumm ums rote Pferd herum. 
lalalalalalalalalalalaa...

Wenn ich mich nicht verzählt habe, wird dies 5x wiederholt, dazwischen immer direkte Aufrufe ins Publikum, die Hände zu heben, mitzusingen etc. 

Rhetorik&Aufbau etc. 
Rhetorische Figuren etc. sind ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht, einen Text eingängig und interessant zu gestalten. Zu lang ist es ja nicht, also muss die ganze Magie des Liedes in diesen paar Zeilen liegen. Das Lied reimt sich immer schön aufs Ende der Zeile, das Ende der Strophe wird durch ein aussagekräftiges "lalalala..." angezeigt, nach kurzen Einwürfen des Interpreten gehts dann auch gleich weiter. Prinzipiell könnte man das Lied ewig weiter singen. Der Text ändert sich nicht und deutet auch eine "Endlosschleife" an. "Rotes Pferd" ist auch gleich eine richtige Lyrik-Atombombe, die zu denken gibt. Gibt es rote Pferde? Meines Erachtens gibts maximal rotbraune Pferde, demnach ist "rotes Pferd" ein Paradoxon. (Paradoxon per Lehrbuch Definition: Unerwartete (scheinbar) widersprüchliche Aussage.) Natürlich könnte es sich auch um eine Metapher handeln? Nur wofür?
Ich persönlich habe keine vernünftige Idee, wofür "rotes Pferd" stehen könnte. 
"Und" würde ich als Alliteration sehen, sowohl die 2. und 5. Zeile fangen mit "und" an.  Selbiges gilt für "seinem Schwanz"! So stark wie beide Wörter betont werden, kann auf jeden Fall von einer Alliteration gesprochen werden. Die letzten Zeilen überraschen mit einer Anhäufung von Onomatopoesie: "sumsumsum", "Gebrumm", "lalalala"; Lautmalerei vom Feinsten. Wobei "lalala" inhaltlich nicht mehr dem restlichen Text zugeordnet werden kann und wohl eher den Gemütszustand des Publikums spiegelt und so den Menschen auf der Tanzfläche das "Mitsingen" erleichtert, was rückwirkend wieder ein wichtiger Faktor für die gute Stimmung ist. 

Inhalt:
Das Lied handelt von einem roten Pferd, welches mit seinem Schwanz versucht eine Fliege loszuwerden, jedoch schwirrt diese um das Pferd und der aussichtslose Kampf beginnt von vorne. Das Pferd muss sich erneut umdrehen, um die Fliege zu erwischen...
Aber kann es tatsächlich sein, dass schlichter Nonsens über ein paradoxes rotes Pferd die Menge so begeistert? Oder steckt womöglich mehr dahinter?
Viele dieser Partykracher zeichnen sich dadurch aus, dass sie unsere niederen Gelüste ansprechen, die bei erhöhtem Alkoholkonsum natürlich auch geweckt werden. Kann es sein, dass sich womöglich perverser Schweinskram hinter dem Lied verbirgt? Ich denke nicht, diese Partylieder zeichnen sich auch alle dadurch aus, diese Themen direkt anzusprechen und nichts in schöne Metaphern zu packen. Klartext sozusagen. Die Meute darf ja auch nach einem gewissen Promille-Satz nicht vom Text verwirrt werden.
Aber ich wär nicht ich, wenn ich nicht selbst für dieses Lied eine gelungene tiefgehende Interpretation, die die Menschheit in ihren Grundfesten erschüttert, finden würde. Ich blicke hinter die Zeilen. War die Mondlandung nur ein Fake? Und ist es möglich, dass womöglich die Illuminaten hinter diesem Lied stecken? Den Fragen, die sonst nur Galileo Mystery klärt (an dieser Stelle sei erwähnt, diese Sendung ist noch um ein vieles unsinniger als das "Rote Pferd") werde ich nun auf den Grund gehen:
"Rotes Pferd" ist - wie schon erwähnt - ein Paradoxon. Doch wie kommt es zu genau dieser Zusammensetzung? "Blaues Pferd" wäre doch in Anbetracht der Zielgruppe sehr viel sinnvoller, zudem eine etwas entfernte Anspielung an die Künstlergruppe Blauer Reiter, was das ganze Lied doch gleich um ein Vielfaches intelligenter machen würde?
Wofür steht die Farbe Rot? Unter anderem steht Rot für die Liebe oder im Gegenteil natürlich auch für Blut. Rot ist zusammen mit Grün aber auch die wichtigste Farbe im Dadaismus, einer Kunstform, welche sich durch Ablehnung von Konventionen auszeichnet, was auch oft im Nonsens enden kann. Wie es zum "Roten Pferd" kommt, sei also an dieser Stelle noch ein Rätsel.
Wieso ist der Antagonist eine Fliege? Wofür steht die Fliege? In der Literatur ist die Fliege unter anderem nichts geringeres als ein Hinweis darauf, dass der Teufel involviert ist! Unter anderem hat sich William Golding im Jahre 1954 in einem Roman mit der Fliege auseinander gesetzt. Ich zitiere kurz aus  

Als Herr der Fliegen wird auch der Beelzebub, der Teufel, bezeichnet. Der alttestamentliche Herr der Fliegen, der Ba'al Zevuv (בעל זבוב), bezeichnet dabei eine der Ba'al-Varianten, wie sie von den Phöniziern der Stadt Sidon oder laut 2. Könige 1,2 auch von den Philistern als Wetter- und Fruchtbarkeitsgott verehrt wurden. Er steht in der alttestamentlichen, um den Glauben Mose zentrierten Deutung, wie alle Ba'ale und Astarten, in höchst negativer Konnotation für die »falsche Gottheit« und die Verführbarkeit des Menschen.  

"Fruchtbarkeitsgott, falsche Gottheit, Verführbarkeit des Menschen". Also steckt zwischen den Zeilen doch schändlicher Schweinskram, der unterschwellig die Menschen auf der Tanzfläche erreicht. Wenn der Herr der Fliegen also der Teufel ist, dann sind die Fliegen seine Anhänger. Die Fliege tut also des Teufels Werk, indem sie das rote Pferd ärgert. Ein inhaltlicher Zufall möchte man meinen, würde dieses vermeintlich harmlose Partylied, einst übrigens Kinderlied, in diesen wenigen kurzen Zeilen nicht noch mehr okkulte Themen und Symbolik beinhalten. Ich zitiere hierzu eine Passage aus einem weiteren ziemlich bekannten Buch, das in den letzten Jahrtausenden viel Unheil und viel Segen über die Menschheit gebracht hat:

Da erschien ein anderes Pferd; das war feuerrot. Und der, der auf ihm saß, wurde ermächtigt, der Erde den Frieden zu nehmen, damit die Menschen sich gegenseitig abschlachteten. Und es wurde ihm ein großes Schwert gegeben. -Offenbarung; 6,4

Plötzlich, im Finale der Bibel, als die Menschheit für ihre Sünden untergeht, als das Tier mit dem unheilvollen, wenig poetischen und in der Musikwelt oft missbrauchten Namen 666 erscheint, als alle sterben, morden und es wirklich nicht gemütlich zu geht, erscheint ein rotes Pferd.
Kommen wir zur endgültigen Interpretation dieses "Liedes": Wir haben das rote Pferd, das kommt, um den Menschen den Frieden zu rauben; wir haben die Fliegen, Anhänger Satans, die das Pferd nerven, foppen, agressiv machen, anstacheln. Es gerade dazu antreiben, sein Unheil über die Welt zu bringen. Es handelt sich bei diesem Lied also um nichts geringeres als eine Beschwörungsformel des Weltuntergangs, die hier zu den Sündern in die Discotheken dieser Welt getragen wird!
Dank mir, der es vermag, hinter die Zeilen zu blicken, der das Böse zu entlarven vermag, wenn es sich auch in den harmlosesten Kinderliedern zu verstecken sucht, könnt ihr euch nun hoffentlich, wenn das Lied das nächste Mal in einer dieser sündigen Brutstätten Satans gespielt wird,  wenn zum Tanz mit dem Teufel aufgerufen wird, von diesem heidnischen, okkulten und im tiefsten Inneren bösen Ritual fern halten.

Abschließend bleibt nur noch zu sagen, Ironie ist per definitionem das, was 99% der Menschen im Internet nicht erkennen, viele auch gerne fälschlich als Sarkasmus bezeichnen, deshalb nochmal kurz im Klartext: Obige Interpretation ist einfach nicht ernst gemeint. Nonsens wie das gesamte Lied, Nonsens wie man ihn im Internet nunmal so findet.
Ich wünsche einen schönen Abend und noch viele lustige Abende mit diesem Lied... ihr Sünder.


Donnerstag, 4. August 2011

Subway to Sally - Kleid aus Rosen

"The whole idea behind a blog is an ongoing narrative... a series of events that follows another series of events."
                                                           - Californication season1episode3

In diesem Sinne möchte ich meine Faulheit überwinden und hier weiter machen. Tatsächlich hatte ich vorm Metal Camp ein anderes Lied im Visier. Ich habe in Slowenien auch, wie im vorigen Blog-Eintrag erwähnt, Tagebuch geführt. Ob - und in welcher Form - dies veröffentlicht wird, überleg ich mir schon die längste Zeit, da es doch recht persönlich ist, aber momentan stehen die Sterne gut! Wenn es dazu kommt, dann aber in einem anderen Eintrag, jetzt gehts wieder zurück zum eigentlichen Inhalt des Blogs und der Interpretation von Liedern!


"Kleid aus Rosen" vom Album "Herzblut" aus dem Jahre 2001 ist geradezu gefundenes Fressen! Fest steht hier inhaltlich nichts, die Meinungen gehen teils enorm auseinander und obendrein ist es vollbeladen mit Stilfiguren! Das ist auch das Mindeste, ist Subway to Sallys Textschreiber Michael "Bodenski" Boden doch laut Wikipedia studierter Germanist! Was ich mit Sicherheit und aus eigener Erfahrung über dieses Lied sagen kann: Im dunklen Club treibt es die Stimmung und die Tanzwut der düsteren Gestalten zur Höchstform!









Lyrics:

 Meister, Meister gib mir Rosen, 
Rosen auf mein weißes Kleid, 
stech die Blumen in den bloßen 
unberührten Mädchenleib.

Ein gutes Mädchen lief einst fort, 
verließ der Kindheit schönen Ort; 
verließ die Eltern und sogar 
den Mann, dem sie versprochen war. 
Vor einem Haus da blieb sie steh'n, 
darinnen war ein Mann zu sehn 
der Bilder stach in nackte Haut, 
da rief das gute Mädchen laut: 

Meister, Meister gib mir Rosen, 
Rosen auf mein weißes Kleid, 
stech die Blumen in den bloßen 
unberührten Mädchenleib. 

„Diese Rosen kosten Blut“, 
so sprach der Meister sanft und gut, 
„Enden früh dein junges Leben, 
will dir lieber keine geben.“ 
Doch das Mädchen war vernarrt, 
hat auf Knien ausgeharrt 
bis er nicht mehr widerstand 
und die Nadeln nahm zur Hand. 

 Meister, Meister gib mir Rosen, 
Rosen auf mein weißes Kleid, 
stech die Blumen in den bloßen 
unberührten Mädchenleib! 

Und aus seinen tiefen Stichen 
wuchsen Blätter, wuchsen Blüten, 
wuchsen unbekannte Schmerzen 
in dem jungen Mädchenherzen. 
Später hat man sie geseh'n, 
einsam an den Wassern steh'n. 
Niemals hat man je erfahr'n, 
welchen Preis der Meister nahm. 

Meister, Meister gib mir Rosen, 
Rosen auf mein weißes Kleid, 
stech die Blumen in den bloßen 
unberührten Mädchenleib!

  Meister, Meister gib mir Rosen, 
Rosen auf mein weißes Kleid, 
stech die Blumen in den bloßen 
unberührten Mädchenleib! 

Rhetorik, Stil & Aufbau:
Schnell springt einem das Reimschema ins Auge: Während der vierzeilige Refrain einen Kreuzreim aufweist, bestehen die achtzeiligen Strophen aus Paarreimen. (Für die Mathematikgenies: 4 Paarreime!) Spannend und gut gelöst ist jedoch der letzte Paarreim: hier reimen sich die Konsonanten plötzlich nicht mehr völlig, ein unreiner Reim bricht die ganze regelmäßige Liedstruktur auf und zeigt das Ende an. Danach folgt nur noch eine doppelte Wiederholung des Refrains.
Was die Stilfiguren betrifft, so finden sich schon in der ersten Zeile des Refrains zwei: "Meister, Meister" ist eine Verdoppelung, oder professioneller ausgedrückt eine Geminatio. Die erste Zeile endet auf "Rosen", die zweite Zeile fängt mit "Rosen" an. Hierbei handelt es sich um eine Anadiplosis. "Stech die Blumen in den bloßen unberührten Mädchenleib" ist zweifellos eine Metapher, für was ist hier die Frage. Die Interpretationsansätze klaffen hier weit auseinander, deshalb will ich darauf näher eingehen, wenn ich mich dem Inhalt zuwende.
In der ersten Strophe befindet sich eine Anapher: es wiederholt sich am Zeilenanfang der zweiten und dritten Zeile "verließ". 
"Der Bilder stach in nackte Haut" ist wieder eine Metapher, über die sich streiten lässt. Selbiges gilt für die zweite Strophe: "Diese Rosen kosten Blut. Enden früh dein junges Leben, will dir lieber keine geben!"
In der letzten Strophe erzeugt schon der erste Paarreim eine gewisse Unsicherheit, reimen sich doch hier die Vokale nicht! "Stichen - Blüten"
"Wuchsen" ist hier gleich eine Geminatio, "wuchsen Blätter, wuchsen Blüten". "Blätter - Blüten" würde ich persönlich auch als Steigerung, also als Klimax betrachten. Das hängt jedoch davon ab, ob eine Klimax per Definition nicht mehr als zwei "Stufen" voraussetzt. (Die meisten Beispiele bestehen aus mindestens drei Steigerungen!) Mein schlaues Skript (und auch Wikipedia) sprechen von einer Steigerung vom schwächeren zum stärkeren Ausdruck. Da die Blüte die Vollendung einer Blume ist, finde ich die Klimax hier gerechtfertig.
"Wuchsen" ist zur Freude aller jedoch auch eine Anapher. Wie auch schon in der ersten Strophe fangen in der letzten Strophe die zweite und dritte Zeile mit dem selben Wort an!
In dieser Strophe findet sich auch ein klassischer Pleonasmus: "junges Mädchenherz". Das Paradebeispiel für den Pleonasmus ist der "alte Greis" unser "junges Mädchenherz" ist genau dasselbe in grün, bzw. das genaue Gegenteil. Was aber soweit nichts an der Stilfigur ändert. Mädchen impliziert, dass es jung ist und daher ist es eine zusätzliche Wiederholung der eigentlichen Bedeutung.
"Wassern"...Das Mädchen steht an den "Wassern". Meines Erachtens eine Synekdochè. Ein weitläufigerer Begriff, der hier nicht ganz klar ist, ein Fluss, ein See, ein Meer, wird durch einen engeren Begriff aus dem selben Begriffsfeld ersetzt.  
Die letzten beiden Zeilen brechen mit dem Reimschema des Liedes, indem sie auf einen auffällig unreinen Reim enden und so schön das Ende des Liedes signalisieren. Ein Bruch im Reimschema ist nicht ungewöhnlich um das Ende eines ansich endlosen Reimschemas erkenntlich zu machen. Beispielsweise fällt mir hier "Über Vergänglichkeit" von Hugo von Hofmannsthal ein, wo das Ende des Gedichts durch eine einzelne Zeile angezeigt wird, welches die ansich endlos fortlaufenden Terzinen stoppt. So bricht auch der unreine Reim "erfah'n- nahm" deutlich mit dem bisher auf der letzten Silbe immer perfekt gereimten Lied.


Niemals hat man je erfahr'n,
welchen Preis der Meister nahm.


Inhalt: 
Jetzt wirds spannend. Im folgenden handelt es sich nicht nur um meine Meinung, sondern auch um die verschiedensten Interpretationsansätze die ich in Foren, Youtube-Comments und den verschiedensten Abarten des interaktiven Web2.0 so gefunden habe. Neben seiner perfekten, eingängigen, zum Tanzen und Mitsingen einladenden Melodie macht die Interpretationsschwierigkeit den großen Reiz an dem Lied aus. Nahezu jeder glaubt etwas anderes in dem Lied zu sehen.  
Zu Beginn sind sich die meisten Interpretationsansätze noch einig. Ein junges Mädchen läuft von zu Hause fort, möglicherweise weil sie nicht heiraten will! "Dem sie versprochen war" impliziert doch ziemlich eindeutig, das die geplante Hochzeit nicht ihre Idee war. 
Sie kommt zu einem Haus, indem ein Meister wohnt. Hier spalten sich die Interpretationsansätze stark auf: Viele scheinen die Verwendung des Wortes "Meister" sexuell aufzufassen, woraus sich in der restlichen Interpretation eine durch Dominanz und Unterwerfung bestimmte Beziehung ergibt, die der "Meister" zunächst ablehnt, doch das junge Mädchen besteht darauf, bittet, bettelt und fleht darum "hat auf Knien ausgeharrt" und schließlich geht sie an dieser Beziehung zu Grunde: "einsam an den Wassern stehn, niemals hat man je erfah'n, welchen Preis der Meister nahm" wird in den meisten Interpretationsansätzen als Hinweis auf ihren Tod betrachtet.
Ein weiterer Interpretationsansatz geht davon aus, dass der "Meister" jemand ist, den sie im Gegensatz zu ihrem Mann wirklich liebt. Diese Liebe wird jedoch nicht erwidert, der "Meister" sträubt sich zunächst, gibt ihrem Flehen jedoch nach und entjungfert sie schließlich. 

bis er nicht mehr widerstand
und die Nadeln nahm zur Hand. 
  
Ganz kecke Interpreteure (gibts dieses Wort? Auf jeden Fall sollte es dieses Wort geben!) sehen hier "Nadel" als Metapher für das äußere männliche Geschlechtsorgan. Was ich persönlich durch die Verwendung der Mehrzahl nicht ganz schlüssig finde. Das "weiße Kleid" wird in diesem Interpretationsversuch als Symbol für die Unschuld betrachtet, "diese Rosen kosten Blut" "stech die Blumen in den bloßen unberührten Mädchenleib" wird hier als Metapher für die Defloration betrachtet. Die "tiefen Stiche" sind hier bildlich für einen nicht ganz jugendfreien Vorgang, es "wuchsen Blätter, wuchsen Blüten" und "unbekannte Schmerzen" umschreiben die Schmerzen und das Blut, welches bei diesem Vorgang auftreten kann. Die "unbekannten Schmerzen" und "wachsenden Blüten" werden manchmal auch als Schwangerschaft und der folgenden Geburt betrachtet. Es endet wieder mit der Annahme ihres Todes, vermutlich weil die Liebe nicht erwidert wurde. Er verlässt sie, sie ist vor der Ehe entjungfert, dadurch gesellschaftlich gezeichnet und ausgestoßen. Man erfährt nicht, "welchen Preis der Meister nahm", vielleicht hat er das Kind behalten? Schließlich "steht sie einsam am Wasser"! Dieser Interpretationsansatz klärt jedoch nicht, warum diese Blumen, in diesem Fall der Geschlechtsverkehr, ihr Leben frühzeitig beenden sollten. 
Ein weiterer Interpretationsansatz, ein sehr beliebter wohlgemerkt, behauptet, es handle sich bei dem "Meister" um einen Tätowierer, beim "weißen Kleid" um ihre Haut und bei Nadeln und Rosen um den tatsächlichen Tätowiervorgang. Er tätowiert ihr Rosen.
Dieser Interpretationsansatz lässt sich weiter ausführen, angeblich (leider hab ich dazu keine verlässlichen Quellen gefunden!) war die Rose im Mittelalter ein Symbol für Prostitution! Prostituierte trugen angeblich Rosen-Tätowierungen um sich erkenntlich zu machen. Daher sollen auch diverse Rosen-Gassen und Straßen in diversen Städten kommen: Ein Hinweis, dass es sich bei der Gegend einst um das Rotlichtmilieu gehandelt hat. Ich weise nochmal darauf hin: Ich konnte keine glaubwürdige Quelle zu dieser Interpretation der Rose finden, wenn auch Rosen zweifellos auch heute noch ein Symbol für die Liebe sind. Der Tätowierer weigert sich jedenfalls zunächst dem Mädchen Rosen zu tätowieren, da er es nicht in die Prostitution schicken will, die das junge Leben frühzeitig beenden könnte. Schließlich gibt er ihr nach und als Bezahlung gibt sie sich ihm hin. Später ist sie "einsam", da sie als Prostituierte von der Gesellschaft ausgestoßen ist und begeht vermutlich Selbstmord.
In einem Forum interpretierte ein User das ganze Lied höchst satanisch: "Meister, Meister gib mir..."  betrachtet dieser User als "die Teufelsbeschwörungsformel schlechthin". Das junge Mädchen läuft fort, wird vom Teufel verführt (mit umgekehrter Psychologie), dieser tätowiert ihr eine Rose. Sie hatte unverheiratet Sex, sie ist gezeichnet, ausgestoßen und bringt sich um. "Blätter und Blüten"sind hier die "Sprosse Satans der in Sündern weiterlebt!". Auch ein Ansatz, wenn es auch nicht meiner wäre.
Ich habe jetzt einige Interpretationsversuche aufgezählt, die ich in den endlosen Weiten des Netzes so fand. Welcher ist nun der Richtige?
Eine Interpretation steht und fällt mit ihrer Argumentation, ich persönlich finden den Ansatz mit der unerwiderten Liebe am plausibelsten.
Drei Dinge müssen jedoch noch zusätzlich erwähnt werden: Erstens: Es gibt ein sogenanntes "Subway to Sally Storybook", das ich jedoch nicht besitze. Und ganz ehrlich, es interessiert mich auch nicht wirklich. In diesem Buch sind von diversen Künstlern Bilder und Zeichnungen zu den Songtexten, sowie einige Kommentare des Songwriters. Laut einem Youtube-Comment, ich hab das Buch wie gesagt nie gesehen, steht in diesem Buch als Anmerkung "es handle sich um das Zurücklassen der Kindheit", ein anderer Comment behauptete aber auch, in dem Buch stünde, dass die Rose im Mittelalter ein Symbol für Prostitution sei. Die Wahrheit ist irgendwo da draußen!
Zweitens: es gibt ein weiteres sehr interessantes Subway to Sally Lied, welches den Titel "Die Rosen im Wasser" trägt. Textlich könnte man meinen, es handle sich hierbei um die Fortsetzung von "Kleid aus Rosen". Kurzum: es scheint in dieser vermeintlichen Fortsetzung um eine Tote die im Wasser treibt zu gehen, desweiteren werden Motive wie "die Schmerzen einer Jungfrau", "Liebe" und "Grausamkeit", "Trauer" und "Lust" mit eingebracht. Betrachtet man das Lied als Fortsetzung, so bestätigt es zumindest den Tod des Mädchens am "Wasser". Irritierend dabei ist jedoch, dass die vermeintliche Fortsetzung auf dem 1999 erschienen Album "Hochzeit" ist, während sich "Kleid aus Rosen" auf der zwei Jahre später erschienenen CD "Herzblut" befindet. So der textliche Zusammenhang ernst genommen wird, ist "Kleid aus Rosen" also ein später verfasstes Prequel zu "Die Rosen im Wasser".
Drittens: jetzt lehn ich mich bezüglich der Intertextualität weiter aus dem Fenster: Subway to Sally nimmt hier ein Motiv auf, das ich aus einem alten Kinderlied kenne... "Heidenröslein" von Goethe. Bis zum heutigen Tag und der eingehenden Beschäftigung mit Rosen etc. war mir nicht bewusst, dass dieses vermeintliche Kinderlied in Wahrheit übler Schweinskram ist. Denkt man ja nicht dran. Jedenfalls lassen sich gewisse Parallelen in der Rosen-Metapher erkennen. Man könnte sogar sagen "Kleid aus Rosen" ist das Gegenteil von Goethes "Heidenröslein". Diesmal will das Röslein gepflückt werden, auch wenn es danach dennoch leiden muss.  Ich denke dieser Vergleich ist völlig gerechtfertigt. Dieses von Schubert vertonte Goethe-Gedicht ist vermutlich dem Großteil der deutschen Bevölkerung als Volkslied bekannt, besonders aber einem Germanisten sollte das Schaffen Goethes bekannt sein, weshalb ich persönlich "Kleid aus Rosen" für das Subway to Sally Pendant von "Heidenröslein" halte!

Anstatt der geplanten zwei Stunden sitze ich hier seit knapp vier Stunden was ein weiterer Beleg für die Komplexität dieses Liedes ist. Ich denke, den meisten Subway-Fans ist nicht bewusst, wie unterschiedlich die Interpretationen ausfallen können, ich persönlich finde es immer wieder faszinierend, wieviel in solchen Liedern stecken kann!