Sonntag, 22. Juli 2012

Blumio - Hey, Mr. Nazi

Hey weltweites Netz, long time no see!

Traurigerweise hat mich der Uni-Alltag daran gehindert hier fleißig zu posten und obwohl nun Sommerferien sind, hält sich die Zeit für einen Blogeintrag (welcher doch immer sehr viel mehr Zeit in Anspruch nimmt, als ich ursprünglich plane) dank meiner derzeitigen Ferial-Arbeit auch eher in Grenzen. Ich hoffe, ich kann in den restlichen Sommerferien noch den einen oder anderen Eintrag verfassen, bevor der Uniwahnsinn im Herbst wieder über die jetzt so friedlich sommerliche Welt herein bricht.
Im letzten Eintrag gab es bösen Paganmetal, weshalb ich nun, zwecks der Abwechslung, mit Hip Hop kommen möchte. Deutschem Hip Hop, um genau zu sein. 
Zwar bin ich üblicherweise sehr nett, weltoffen und tolerant gegenüber allem und jedem, aber ich muss zugeben, dass es mir bei deutschem Hip Hop und seinen Gangster-Abszessen schon mal schnell den Magen umdreht. Wieso? In allererster Linie, weil ich ihn für eine überzeichnete Glorifizierung von Bildungsmangel halte. Früher oder später werde ich in diesem Blog, rein wegen des Spasses, sicherlich auch eine Koryphäe aus dieser musikalischen Spielart analysieren, bis dahin sei erwähnt: Es gibt auch ziemlich guten deutschen Hip Hop, sei es nun auf sprachlicher oder inhaltlicher Ebene.
Das heutige Lied finde ich rhetorisch wenig spannend, den Inhalt dafür umso wichtiger: Es sagt uns, dass man nicht so einfach schwarz-weiß malen sollte, wie ich es im obigen Absatz gerade getan habe und daher Vorhang auf für Blumio in seiner ganzen Weisheit:

Video:



Lyrics:


Hey, Mr.Nazi.
Müsste ein Wörtchen mit dir reden, bitte, hör mir zu. Yeah  
Sieh mich an, was siehst du in mir?
Nur einen kleinen Ausländer, der so riecht wie ein Tier?  
Ein dummer Schlitzauge, ein Scheiß-Reisfresser?
Den man im besten Falle gleich einäschert?
Bitte sag’s mir, denn ich will wissen, was du denkst.
Denn es ist mein Wille, dass du jetzt das Richtige erkennst.  
Ich stink’ nämlich gar nicht, ich dusch mich jeden Tag.
Mann, würd’ ich stinken, dann blitz ich doch bei den Mädels ab.  
Und nein, ich will auch nicht nur Reis fressen.
Manchmal will ich auch ne Bockwurst in ’n Senfglas reinstecken. "Mhh, lecker!"
Und dann genüsslich verschlingen. Das hätteste nicht gedacht. 
Siehste, jetzt hab ich in deine Welt etwas Licht gebracht.
Ich greif dich nicht an, ich reich dir die Hand.
Bitte hör’ auf meine Worte, saug sie ein wie ein Schwamm. "slrp"  
Denn es ist leicht zu sagen ’Nazis Raus’.
Doch jeder Mensch kann sich verändern, ich glaub, Nazis auch. 

Und ich sag: Hey, Mr.Nazi, komm’ auf meine Party.
Ich stell’ dir meine Freunde vor!
Das hier sind: Juspé und Kati,
Thorsten und Nefatih, wir haben den selben Humor.
Und wir sagen: Hey, Mr.Nazi komm’ auf meine Party,  
ich zeig dir meine Kultur.
Das hier sind Sushi und Technik, Mangas und Origami,
ich kenn’ das seit meiner Geburt.

Kennst du das Gefühl, wenn ein Mensch dich verletzt,
weil ein Mensch dich verletzt, obwohl du kämpfst bis zuletzt.
Oder, das Gefühl, wenn dir was Gutes passiert,
du für kurze Zeit die Sorgen um die Zukunft verlierst.
Oder, wenn du verliebt bist. Ich brauch’ es nicht mal selbst zu sagen.
Das Gefühl, als könntest du die ganze Welt umarmen.
Ich weiß, du kennst es auch, wir sind nicht komplett verschieden.  
Doch du trittst auf den Mann ein und lässt ihn liegen.
Und das Schlimmste daran, er war Familienvater.
Und nun herrscht bei ihm zu Hause ein Riesen-Drama.
Die Tochter verstehts nicht, drum fragt sie jeden Tag:
"Mama, sag’s mir doch, warum ist denn der Papa nicht mehr da. Er hat aber versprochen, er kauft mir neue Schwimmflügel. Und dass wir Picknick machen gehen, bei den Windmühlen."  
Später wird sie verstehen, was das alles heißt.
Doch jetzt steht sie nur da und sieht, wie Mama weint.

Hey, Mr.Nazi, komm’ auf meine Party.
Ich stell’ dir meine Freunde vor!
Das hier sind: Juspé und Kati,
Thorsten und Nefatih, wir haben den selben Humor.
Und wir sagen: Hey, Mr.Nazi komm’ auf meine Party,  
ich zeig dir meine Kultur.
Das hier sind Sushi und Technik,
Mangas und Origami,
ich kenn’ das seit meiner Geburt.

Es ist nicht leicht, sich mit Einsamkeit herumzuschlagen. "Nope!"  
Jeder Mensch will doch Gleichgesinnte um sich haben. "Oder?"  
Und ehe du dich versiehst, bist du im Freundeskreis,
in dem man mit dem Finger auf andershäutige Leute zeigt.
Und das kann schnell gehen, das ist keine Lüge,
die meisten Menschen haben irgendwo rassistische Züge.
Ich seh’ rassistische Lehrer und rassistische Hauptmänner, "Steh’n bleiben!"
Rassistische Deutsche und rassistische Ausländer.
Und früher war ich selbst ’n kleiner Rassist,
und sowas kommt von mir, seht ihr jetzt, wie einfach das ist?  
Ja, ich weiß, ihr hört mich immer sagen, Japse hin und her, "Japse, Japse"  
Doch im Grunde ist mir das scheißegal, ich bin nur ’n netter Kerl.  
Und jetzt verleih’ ich diesen Worten meine Kraft,
und so leg’ ich heute alle meine Vorurteile ab.
Du sagst, ich seh’ das mit den Vorurteilen viel zu krass,  
doch genau die sind der Ursprung für Krieg und Hass.  
Und wir sagen:

Hey, Mr.Nazi, komm’ auf meine Party.
Ich stell’ dir meine Freunde vor!
Das hier sind: Juspé und Kati,
Thorsten und Nefatih, wir haben den selben Humor.
Und wir sagen: Hey, Mr.Nazi komm’ auf meine Party,  
ich zeig dir meine Kultur.
Das hier sind Sushi und Technik,
Mangas und Origami,
ich kenn’ das seit meiner Geburt.


Stilistisches etc.:
Das Lied besteht aus drei Strophen, auf die drei Mal der selbe Refrain folgt. 
Die Zeilen enden jeweils in, vielleicht nicht immer ganz reinen, Endreimen. Auffällig sind zusätzliche Kommentare, die den eigentlichen Inhalt des Textes unterstreichen und teils auch ein bisschen den Inhalt ins Lächerliche ziehen. "Mhhm, lecker" und "Steh'n bleiben" sind Beispiele hierfür.
Sofort ins Ohr springt auch die Verwendung des Dialekts (oder Soziolekts? Hierfür müsste man sich mit deutschen Varietäten besser auskennen). Eines von vielen Beispielen hierfür wäre "will ich auch ne Bockwurst in ’n Senfglas reinstecken". Auch habe ich den Eindruck, dass gelegentlich das "CH" zu einem "SCH" wird. Man verzeihe mir an dieser Stelle meinen Dilettantismus, aber nichts liegt mir ferner als nun phonologisch und phonetisch zu arbeiten, daher ist dieses Thema an dieser Stelle für mich auch abgeschlossen.
Wirklich großartige rhetorische Figuren und Stilmittel springen einem nicht sofort ins Auge, jedoch fallen bei genauerer Betrachtung schon einige Dinge auf. Etwa die Alliteration: "du denkst. (nächste Zeile) Denn...". Der folgende Satz wird eingeleitet durch einen Ausruf (Exclamatio) und ist des weiteren ein Exemplum, also ein verdeutlichendes Beispiel: "Mann, würd ich stinken, dann blitz ich doch bei den Mädls ab...". Ebenfalls ein Exemplum ist "Manchmal will ich auch ne Bockwurst in ’n Senfglas reinstecken.", auf welches sofort Onomatopoesie folgt:  "Mhh, lecker!" Eine tote Metapher ist "Licht in die Welt bringen" und ein Vergleich ist "saug sie ein wie ein Schwamm".
"Mister" ist natürlich ein Anglizismus. Im Refrain werden die Worte "Sushi", "Technik", "Mangas" und "Origami" als Metonymie für die japanische Kultur verwendet. Wobei hier schon erwähnt werden muss, dass die japanische Kultur, bei allen guten Bestrebungen des Liedes, hier sehr auf Stereotypen reduziert wird. Sushi sollte im westlichen Raum mittlerweile bekannt sein, Technik referiert auf diverse japanische Elektronikhersteller, Manga sind japanische Comics und Origami ist die Kunst des Papier-Faltens.
In der zweiten Strophe finde ich sehr spannend, dass ein langes Exemplum bei der dramatischen Climax die Strophe unterbricht: "Mama, sag’s mir doch, warum ist denn der Papa nicht mehr da. Er hat aber versprochen, er kauft mir neue Schwimmflügel. Und dass wir Picknick machen gehen, bei den Windmühlen.
In der dritten Strophe folgt eine Enumeratio, eine Aufzählung: "rassistische Lehrer, rassistische Hauptmänner, rassistische Deutsche, rassistische Ausländer". Und zum Schluss folgt noch ein kleiner Vulgarismus "scheißegal".

Inhalt:
Das Lied erklärt sich von selbst, schickt seine Botschaft meines Erachtens aber sehr geschickt, indem es mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen aufzeigt. Blumio, als japanisch stämmiger Deutscher, stellt sich selbst offen und bereitwillig als Projektionsfläche zur Verfügung. Dabei scheut er sich nicht, auch von früheren  rassistischen Tendenzen in sich selbst zu erzählen. Das nützt er dazu um das Gemeinsame hervor zu heben, wie er etwa auch humorvoll erwähnt, dass er keine Chancen bei Frauen hätte, würde er tatsächlich stinken. Er spricht den "Mr. Nazi" zwar als solchen an, stellt aber eine Verbindung von Mensch zu Mensch her, indem er davon ausgeht, dass auch "Mr. Nazi" liebesfähig ist und sein Verletztsein spürt. "Oder wenn du verliebt bist, ich brauch es nicht mal selbst zu sagen, das Gefühl, als könntest du die ganze Welt umarmen". Hier findet ein geschickter Perspektivenwechsel statt: Hat Blumio bisher hauptsächlich von sich selbst gesprochen, so spricht er nun vom "du", das die ganze Welt umarmen kann. Auch der Satz "ich weiß, du kennst es auch, wir sind nicht komplett verschieden" stellt Verbindung und Verständigung her und erst danach folgt die Kritik "doch du trittst auf den Mann ein und lässt ihn liegen".
Erst nachdem er Verständnis für den "Mr. Nazi" ausgedrückt und so Verständigung hergestellt hat, drückt er das Trennende aus. Nun versucht er bei "Mr. Nazi" Verständnis für den ermordeten Mann herzustellen, indem er die Geschichte der Witwe und der hinterbliebenen Waise erzählt. Blumio enthält sich eines expliziten Urteils und spricht stattdessen im Refrain noch einmal die Einladung aus, auf die Party zu kommen.
Auch in der letzten Strophe drückt er Verständnis aus, indem er als Motiv für Rassismus die Einsamkeit vermutet. Er bringt sich wieder selbst ins Spiel, indem er sich von seinem früheren Rassismus distanziert und als Japaner selbst mit dem abwertenden Wort "Japse" spielt. Das ist bewusst politisch unkorrekt und eine versteckte Einladung nicht jedes Wort auf die Waagschale zu legen. Dennoch warnt er eindringlich vor Vorurteilen, die er als Ursprung für Krieg und Hass sieht. Das Lied endet im Refrain mit der Einladung auf die Party mit Menschen verschiedener Herkunft zu kommen.
Bei allen lobenswerten Aspekten des Liedes, finde ich es spannend, dass Blumio aber auch mit vielen Stereotypen arbeitet, was nicht weiter dramatisch ist, wenn man sich die Größe und Komplexität des Themas vor Augen hält. Er greift damit auch das Stilmittel der Stereotypisierung auf und bewegt sich dadurch quasi in ihrem Terrain der angesprochenen Gruppe.
"Hey Mr. Nazi" ist auch kein Einzelfall, Blumio nimmt sich des Öfteren solch gesellschaftskritischer Themen an, wie etwa in "Die Welt ist schwul" und "Antigewaltsong". Das ernster inszenierte "Wir träumen gemeinsam von besseren Tagen" ist dem Song "Hey Mr. Nazi" nicht so unähnlich.
Blumios Botschaften laden jeden zum Nachdenken ein. Er vertritt hohe moralische Werte, moralisiert dabei aber nicht.
Blumios Musik spricht mich nicht so an, wie seine Texte, diese jedoch halte ich für  eine großartige und lobenswerte Ausnahme, nicht nur im Hip Hop, sondern in der gesamten Musikwelt.

1 Kommentar:

  1. Meister, ich freue mich immens, dass Ihr eure Ankündigung wahr gemacht habt, diesem Lied einen kleinen Beitrag in Eurem digitalen Feuilleton zu widmen, dennoch muss ich Euch, in untertänigster Verehrung, darauf aufmerksam machen, dass wir von Eurer Durchlauchtigstheit schon weitaus imposantere und inspirierendere Beträge lesen durften.
    Blumio arbeitet natürlich mit Stereotypen, aber nicht, weil die Komplexität des Themas zu groß wäre, sondern weil der Umgang mit Menschen die in Stereotypen denken nur über einen solchen Zugang funktionieren kann. Die Annahme der gleichen kommunikativen Ebene, wie sie auch der Gegenüber nutzt, ermöglicht eine Dekonstruktion der in Stereotypen festgefahrenen Vorurteile gegen ganze Menschengruppen. Auch der Vorwurf es würde sich um einen (musikalisch gesehen) anspruchslosen Beitrag zur deutschem Musikkultur handeln halte ich für falsch. Der gleichbleibende Beat im Hintergrund mag zwar wenig Abwechslung bieten, doch unterstreicht gerade die eingängliche Hintergrundmelodie den Text in guter Art und Weise und bietet dem Rapper die Möglichkeit Kommentare hinter dem Text einzustreuen. Wenn Ihr es auch noch metaphorisch analysieren wollt, könnt Ihr argumentieren, dass die Monotonie den immer gleichbleibenden Gang der Welt andeutet in dem man sich zu bewegen hat und dass in diesem Dahinplätschern eine Versöhnung stattfinden muss, da in ihm auch die angeprangerten Verbrechen, bzw. Unüberlegtheiten von Seiten der Nazis stattfinden.

    Nichtsdestotrotz hat es mich gefreut wiedereinmal einen Ihrer Beiträge zu lesen.

    Gruß ...

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