Freitag, 8. Juli 2011

Geist - Unter toten Kapitänen

Guten Tag, werte Fremde, die zufällig hier gestrandet sind!

Heute möchte ich "Unter toten Kapitänen" der deutschen Band "Eïs", ehemals "Geïst", interpretieren. Schon zu Beginn sei gesagt, dass dieses Stück in meinen Augen so mächtig und erhaben ist, dass ich es fast nicht wage mich an diese Nummer heranzutasten. Und dennoch, dieses Lied gefällt mir ausgesprochen gut und ich denke, es ist ein perfektes Stück um zu zeigen, dass Black Metal, so man die Musik dieser Band denn so titulieren will, weit mehr sein kann als kindisches Gebrabel über Satan und die böse Kirche. Leinen los für "Unter toten Kapitänen!"




Lyrics:

Nichts, was wir in unserer Umwelt wahrnehmen, zeigt je sein wahres Gesicht. Es versteckt sich in einer Maske, die ein unerforschliches Wesen hervorgebracht hat. Wenn ich auch nur die Maske sehe, es ist das, was hinter der Maske versteckt ist, was ich so hasse! Das Böse ist es, das die Menschen seit Urzeiten plagt und verängstigt und ihr Denken beherrscht. Das uns verletzt, verstümmelt anstatt uns einen schnellen Tod zu schenken. Das Menschen zwingt weiterzuleben mit einem halben Herzen, einer halben Lunge.

Schau die Glut hinter den Wellen, wie sie ohne Klang erlischt. 
Vielleicht ist diese Dämmerung unsere letzte. 
Leuchtturm waren wir in all den Stürmen, an unseren Tauen hingen blutend die Laternen. 
Alles was hier nun noch scheint, ist mattes Licht wie aus Tavernen. 
Aber schau, wir segeln unter toten Kapitänen.

Wo der scheue Geist im Meer und stille Dunkelheit sich flüchtet, sucht tönerne Werke nicht! Und solltet ihr sie finden, lasst sie wehen: Es ist besser, dass ihr sie vernichtet.

Sieh! 
Über den Wellen sinkt die Nacht herab und unsere Segel sind erfroren. 
Vielleicht ist diese Flaute unsere letzte.

An unserem Bug zerschnitten tausend Wetter und von unserem Deck erklangen tausend Lieder. 
Alles, was hier nun noch klingt, ist der Gesang von schwarzen Schwänen.

Sieh! 
Wir segeln unter toten Kapitänen.

Ich fühl mich alt, als wär ich Adam. Gebrochen von der Last der Jahrmillionen seit der Flucht aus dem Paradies. Welcher Geist, welcher Dämon, welches unerforschliche Wesen umringt mich in meiner Sehnsucht nach Liebe? Unaufhaltsam, ohne Unterlass weiter. Und zwingt mich zu Taten, die mein eigentliches, innerstes Wesen verabscheuen. ... [diese Stelle ist mir absolut unverständlich] unergründliche, endlose See!

Aus den modernden Urnen gesunkener Schiffe schreien die Glocken und Hörner, rühren das Wasser und treiben den Nebel über die kalkweißen Klippen gegen die Stadt, 
dass, wenn ihr erwacht, ihr den Ruf der Götter dumpf nur geträumt habt: 
Alles ist ewig verloren. 

Ich sah ein Schiff auf seiner dritten Fahrt in den verfluchten Erdenwinter treiben. Vielleicht war diese Reise seine letzte. Am gebrochenen Revers der Kapitäne sah ich von Ferne noch Medaillen leuchten und im Mahlstrom tauchte etwas auf und etwas tauchte unter, das ich nicht erkannte.

Niemand weiß, wohin wir segeln, unter toten Kapitänen.


Rhetorische Figuren: 
Bei "Unter toten Kapitänen" gibt es kein vernünftiges Reimschema, die Strophen sind unterschiedlich lang und zwischen das "Gekreische" (=Volksmund) oder auch den "gutturalen Gesang" (=Wikipedia) mischen sich klar gesprochene Passagen. Doch dazu später mehr.
Ein fixes Reimschema, das als Futter für den gemeinen Ohrwurm dient, gibts also nicht, die Substanz des Textes und des Liedes will wohl aus anderen Faktoren gewonnen werden. Damit sind wir wieder bei den rhetorischen Figuren, die jeden Text hübsch und schön machen. Und im Falle von "Unter toten Kapitänen" erschlagen einen die sprachlichen Bilder förmlich.
Ich werde nicht Zeile für Zeile über das gesamte Lied gehen, sondern eher drüberfliegen, denn zum einen hab ich nicht den ganzen Tag Zeit, zum anderen würde es eh kein Mensch lesen.
"Schau die Glut hinter den Wellen, wie sie ohne Klang erlischt."  Hinter Wellen kann es keine Glut geben, das könnte man schon als Paradoxon durchgehen lassen, zusätzlich ist es natürlich eine Metapher für Sonne und ein Vergleich. Die untergehende Sonne wird mit erlöschender Glut verglichen. "Leuchtturm waren wir in all den Stürmen" steht wohl für gemeinsam überstandene Gefahren. Der Leuchtturm, Licht als Symbol für Hoffnung, "Stürme" zum einen als Symbol für Gefahren generell, zum anderen bei einem Lied über Seefahrt natürlich auch als Sturm selbst. Auch die "toten Kapitäne" könnte man einerseits natürlich wörtlich als Geisterpiraten verstehen, wie etwa in den viel zu erfolgreichen Fluch-der-Karibik-Filmen. Andrerseits könnten sie auch metaphorisch für Noch-Lebende stehen, die beispielsweise auf einer Fahrt ins Ungewisse sind, aus dem eine Heimkehr unwahrscheinlich ist und mit deren Tod schon gerechnet wird. "Sinkt die Nacht herab" mag wohl im alltäglichen Sprachgebrauch schon fester Bestandteil sein, aber diese Redewendung dürfte dennoch metaphorischen Ursprungs sein. "An unserem Bug zerbrachen tausend Wetter" ist in meinen Augen zum einen eine Metapher, "Wetter" zerbricht oder zerspringt (das Wort ist nicht ganz eindeutig zu verstehen) nicht, ebenso fühlt sich hier Wetter nicht ganz korrekt an. Ich würde "Wetter" hier als Synekdoche für dieses ganze Witterungsbegriffsfeld sehen. "Stürme", "Unwetter", "Gewitter", eventuell sogar "Klima", "Wetter" alleine scheint mir jedoch eine ziemlich verharmlosende Variante aus einem größeren, stärkeren Ganzen. "Aus den modernden Urnen gesunkener Schiffe" ist ebenfalls eine ganz hübsche Metapher für ertrunkene Seeleute und noch in der selben Zeile "schreien die Glocken und Hörner": Instrumente schreien nicht und schon gar nicht unter Wasser. Damit sind in dieser Zeile nicht nur zwei Metaphern, sondern auch ein Paradoxon beschrieben. Würde man sich noch weiter mit den Stilmitteln in diesem Text beschäftigen, so würde man sicher noch so einiges zutage fördern, ich werde mich jetzt aber dem Inhalt zuwenden.

Inhalt:
Dieser Song lebt von seiner Stimmung. Alleine die Länge des Liedes, es dauert über 15 Minuten, spiegelt schon die endlose Weite des Meeres und das Lied nimmt sich alle Zeit der Welt um die Atmosphäre der rauen See langsam aufzubauen. Ganze drei Minuten, andere Lieder neigen sich zu diesem Zeitpunkt bereits dem Ende zu, nimmt sich "Unter toten Kapitänen" um mit der ersten Textpassage zu starten. Bis hierhin gibt es nur Geräusche der Schifffahrt, ein Piepen lässt ein Radargerät oder ein Sonar vermuten, die schwere, ruhige Melodie schwingt langsam und beständig wie die endlosen Wellen des Ozeans zu uns.
Aber bevor es an die erste Textpassage geht, noch ein kurzer Diskurs über die musikalische Geschichte der Seefahrt der letzten Jahre:
Geist stehen mit dieser Thematik bei weitem nicht allein da. Man nehme als weitere Beispiele das ebenfalls schöne Raue See der ebenfalls aus Deutschland stammenden Mittelaltertruppe "In Extremo" oder so ziemlich das Gesamtwerk der (Überraschung!) aus Deutschland stammenden Band "Ahab", die sich schon nach dem Kapitän aus "Moby Dick" benannt hat. Ein wunderschön schwermütiges Beispiel wäre hier O Father Sea. Aber auch von Übersee gibt es natürlich Seefahrtsmetal wie etwa Alestorm ("True Scottish Pirate Metal") oder Swashbuckle, von den ganzen Vikingmetalbands mal zu schweigen. Geist liefern hier also nichts besonders Innovatives, wenn sie ein Album über Seefahrt machen. Haben sie dennoch ihre Existenzberechtigung?
Selbstverständlich, da die genannten Bands selbige Thematik doch sehr unterschiedlich angehen!
Was Geist betrifft, so ist der Zugang ein schwermütiger, melancholischer, unheilvoller, während etwa Alestorm die Freude verbreitet, die die letzten Fluch-der-Karibik-Filme schmerzlich vermissen ließen.
Aber zurück zu "Unter toten Kapitänen": Nach dem atmosphärischen Intro kommt nach drei Minuten die erste ruhig gesprochene Textpassage. 

Nichts, was wir in unserer Umwelt wahrnehmen, zeigt je sein wahres Gesicht. Es versteckt sich in einer Maske, die ein unerforschliches Wesen hervorgebracht hat. Wenn ich auch nur die Maske sehe, es ist das, was hinter der Maske versteckt ist, was ich so hasse! Das Böse ist es, das die Menschen seit Urzeiten plagt und verängstigt und ihr Denken beherrscht. Das uns verletzt, verstümmelt anstatt uns einen schnellen Tod zu schenken. Das Menschen zwingt weiterzuleben mit einem halben Herzen, einer halben Lunge.

Ziemlich stimmungsvoll, unheilvoll, misantropisch. Das geeignete Stichwort ist hier: Intertextualität.
Ich hätte es nicht gewusst, ein Freund hat mich darauf aufmerksam gemacht. Geist zitieren hier leicht abgewandelt aus der Moby-Dick-Verfilmung aus dem Jahre 1956. 

Yet he is but a mask. 'Tis the thing behind the mask I chiefly hate; the malignant thing that has plagued mankind since time began; the thing that maws and mutilates our race, not killing us outright but letting us live on, with half a heart and half a lung. 
                                                                               -Quelle: Imdb


Das, was jenseits der Maske liegt, ist, was ich hasse,... ..jenes bösartige Ding, das die Menschen seit jeher peinigt und ängstigt. Das uns malträtiert und verstümmelt,... ..aber doch nie ganz tötet, sondern weiterleben lässt,... ..mit einem halben Herzen und einer halben Lunge. Gott beschütze uns. Die Besatzung steht hinter mir, Mr. Starbuck. Sie haben ihren Schwur gehört. Und Sie,... ..was sagen Sie?
                                                                                                        -Quelle: http://movie.subtitlr.com/


Ich kenne zwar weder Buch noch Moby-Dick-Filme, jedoch ist diese Geschichte, und sei es nur der bloße Name, wohl im allgemeinen Kulturverständnis als DIE Seefahrtsgeschichte schlechthin gespeichert. Wie könnte man also besser einen Song über die Schwierigkeit und die Gefahren der Seefahrt beginnen als sich auf dieses Buch zu beziehen?  Ich kann nur vermuten, dass auch die zweite klar gesprochene Passage ein Zitat aus Moby Dick ist, gefunden hab ich leider nichts dazu. 
Inhaltlich geht es schwermütig und melancholisch weiter. Wieder häufen sich Abend- und Nachtbeschreibungen, Symbole für das Ende, für den Tod; alles deutet auf den Lebensabend hin. Bisher konnte allen Gefahren getrotzt werden, doch diese Fahrt scheint die letzte zu werden. Wobei, wie oben angesprochen, natürlich die Frage bleibt, ob die "Toten Kapitäne" Geister, verlorene ertrunkene Seelen sind oder zukünftige Tote auf einer Fahrt ins Ungewisse. Man stelle sich vor, wie sich die Menschen auf Schiffen aus Holz oder, noch viel früher, sogar aus Schilf(!) gefühlt haben, die ins Ungewisse aufbrachen: Völlig den Gewalten der Natur ausgeliefert! Reicht der Proviant, reicht das Trinkwasser? Fragen, die wir uns heutzutage nicht mehr stellen müssen. Wir ärgern uns über 2 Stunden Check In und fliegen gemütlich in 25 Stunden an jeden Ort der Welt.
Ich denke, dass Geist dieses Ungewisse, dieses den Meeren Ausgeliefertsein, perfekt einfangen.
Angeblich, so lernten wir es in "Bildnerische Erziehung", saßen die Menschen früher stundenlang vor Gemälden und fantasierten. Quasi Fernsehersatz! Sieht man sich diverse Gemälde der Marinemalerei an, so ist das auch verständlich. Teilweise ist es traumhaft, was für Stimmungen, auch unheilvolle von sinkenden Schiffen, eingefangen werden!






Sieht man sich das Albumcover von Geists "Galeere" an, wird man mir wohl zustimmen müssen, dass dieser Vergleich ganz treffend ist und auch "Unter toten Kapitänen" ein würdiges letztes Lied eines unglaublich stimmungsvollen Gesamtkunstwerkes ist:




"Unter toten Kapitänen" ist musikalische Marinemalerei. Schaurig schön, stimmungsvoll und der Beweis, dass Black Metal (wobei ich "ambient" treffender finde)  auch grandios ohne Satan funktionieren kann!


-edit 14.02.12: kaputte Links zu Videos und Bildern ausgetauscht, sowie Ergänzung der deutschen Textpassasge aus der deutschen Moby Dick-Verfilmung, nach anonymer Link-Spende, siehe Comments. Außerdem hab ich überall den Blocksatz draufgeknallt... linksbündig erzeugt Augenschmerzen, das Brainwashing der Universität funktioniert.

7 Kommentare:

  1. genialer song. das video geht nicht mehr, schade!

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  2. Wirklich schönes Lied, wie eigentlich alle von Geist/Eis.
    Ich wollte mich eigentlich nur einmal melden weil ich das Zitat aus Moby Dick auch auf deutsch gefunden habe.
    http://movie.subtitlr.com/subtitle/show/213077#line521
    Sofern du es hinzufügen willst.

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  3. Hey, ich bins nochmal, der mit dem Moby Dick Zitat. Man merkt, es zieht mich immer wieder hierher :D
    Ich wollte einmal fragen ob du dir einen Reim auf den Teil mit den schwarzen Schwänen machen kannst. Ich weiß zwar, dass sie eine Metapher für sehr unwarscheinliche Ereignisse sind, aber irgendwie macht das finde ich dort keinen Sinn. Ich denke etwas für sehr schlimme Ereignisse würde eher passen, aber für unwarscheinliche?
    vielen dank schon einmal

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  4. hey, das freut mich, wenn es dich zu mir zurück verschlägt! Ich bin gerade richtig entäuscht von mir, dass ich nicht auf die schwarzen Schwäne eingegangen bin?!

    "Alles, was hier nun noch klingt, ist der Gesang von schwarzen Schwänen"

    Als ganzer Satz deutet es auf jeden Fall auf "Ende", "Untergang", "Tod". Die schwarzen Schwäne überdauern mit ihrem Gesang die Seefahrer. Damit werden die schwarzen Schwäne meines Erachtens schon zur Metapher für schlimme Ereignisse. Zusätzlich könnte man natürlich "schwarz" generell noch mit dem Tod assoziieren.
    Wenn man die schwarzen Schwäne weniger als Metapher sondern tatsächlich als schwarze Schwäne interpretieren würde:
    Hab das mal eben gegoogled: Siehe da, die einzig schwarzen Schwäne nennt man "Trauerschwäne"... womit wir wieder beim obigen, "schwermütigen, vergänglichen, verderben, tot"-Begriffsfeld sind.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Trauerschwan

    Also zusammenfassend stimm ich dir zu: die schwarzen Schwäne können auf jeden Fall eine Metapher für schlimme Ereignisse sein.

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  5. Hey,
    Ich möchte noch einmal die Aufmerksamkeit auf das atmosphärisch genutzte Piepen am Anfang des Liedes ziehen, Ich möchte zufälligen Lesern nicht die Vorfreude vermiesen es selbst herauszufinden, aber die Pieptöne stammen weder von Radar- noch von Sonargeräten.

    Nein, Ich bin nicht der mit dem Moby Dick Zitat, aber auch Ich bedanke mich für das sezieren dieses wunderbaren Stücks dieser großartigen Band.

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  6. "Ich fühl mich alt, als wär ich Adam. Gebrochen von der Last der Jahrmillionen seit der Flucht aus dem Paradies.
    Was ist es nur?
    Welcher Dämon, welches unerforschliche Wesen, treibt und drängt mich wider aller Sehnsucht und Liebe, unaufhaltsam, ohne Unterlass weiter. Zwingt mich zu Taten die mein eigentliches, innerstes Wesen verabscheuen würde.
    Zu alledem, ein Himmel, der heiter lächelt, und die unergründliche, endlose See."
    Dieser Teil kommt aus dem Moby Dick - Film von 1956. (Im Lied wird aber nicht das ganze Zitat verwendet)
    Greetz
    T

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